Auf einen Blick
- Nazi-Villa neben Auschwitz wird zu Zentrum gegen Extremismus umgewandelt
- Familie des KZ-Kommandanten lebte in «Paradies» neben Massenmord-Stätte
- Mehr als eine Million Menschen wurden in Auschwitz ermordet
Das NS-Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz wurde im Zweiten Weltkrieg zum Ort des grössten Massenmordes an europäischen Juden. Mehr als eine Million Männer, Frauen und Kinder, die meisten von ihnen Juden, wurden dort in Gaskammern getötet, erschossen oder durch Zwangsarbeit und Hunger umgebracht. Und direkt daneben steht bis heute eine dreistöckige Villa. Ein kleines «Paradies» nannte die Ehefrau Hedwig Höss (1908-1989) einst das Anwesen mit einem grossen Garten.
Während des Massenmordes lebte Hedwig Höss mit ihrem Mann, dem Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höss (1901-1947), und den fünf gemeinsamen Kindern in der Nazi-Villa. Um die Gräueltaten so gut es geht fernzuhalten, wurde eine hohe Betonmauer errichtet. Dazu versperrten hohe Bäume die Sicht. Um die Todesschreie zu übertönen, wurde ein Töff aufgestellt und aufgedreht.
Die grauenhafte Parallelität, glückliches Familienleben auf der einen und Genozid auf der anderen Seite, thematisierte der oscarprämierte Film «The Zone of Interest», der 2023 in Cannes Premiere feierte.
«Haus eines der schlimmsten Extremisten und Antisemiten aller Zeiten»
Bislang war die Nazi-Villa für Besucher des Konzentrationslagers nicht geöffnet. Das wird sich in wenigen Tagen ändern. «Die Idee hinter dem Projekt ist, etwas zu schaffen, das es noch nicht gibt: ein globales Zentrum zur Bekämpfung des Extremismus im Haus eines der schlimmsten Extremisten und Antisemiten aller Zeiten», sagt Hans Jakob Schindler, der leitende Direktor des Counter Extremism Project (CEP), zu CNN. Die gemeinnützige Organisation hat mit dem Haus gleich zwei Dinge vor: Sie möchte ihrer Organisation ein neues Zentrum geben und das lange verschlossene Haus rechtzeitig zum 80. Jahrestag der Befreiung des Lagers am 27. Januar der Öffentlichkeit zugänglich machen.
«Wenn man sich dieses Anwesen ansieht, die Gärten, die Brunnen, das normale, gewöhnliche Leben, dann wird uns seit der Zeit des Holocaust beigebracht, niemals zu vergessen», sagt Mark Wallace vom CEP. «Achtzig Jahre später ist klar, dass ‹niemals vergessen› zwar wichtig ist, aber nicht ausreicht, um den Hass und Antisemitismus zu verhindern, der unsere Gesellschaft derzeit erfasst.»
«Nur Befehle ausgeführt»
Gleichzeitig geben die Memoiren von Rudolf Höss Einblick in das perverse Doppelleben. Familienvater und pedantischer Massenmörder. Nach seiner Festnahme wurde der Nazi-Kommandant dazu gezwungen, seine Erinnerungen niederzuschreiben. Darin beschrieb sich Höss als einen Mann, der sich der Disziplin verpflichtet fühlte und der Ordnung verpflichtet war. Er schrieb, er habe sich «zum Schutz der geistigen Gesundheit» seiner Wachen entschieden, Zyklon B einzusetzen, ein Insektizid, mit dem er so viele Juden wie möglich effektiv ermordete.
Kurz vor seinem Galgentod erklärte Höss, dass er keine Reue habe, da er schliesslich «nur Befehle ausgeführt» habe. Psychologische Gutachten im Prozess ergaben, der Deutsche sei zwar ein überzeugter Nationalsozialist gewesen, vielmehr aber ein «gewissenhafter» Arbeiter, der an der minuziösen Umsetzung eines Plans interessiert war – und nicht in erster Linie am Quälen und Töten von Menschen.