Shima Babaei kämpft gegen das iranische Regime und sucht verzweifelt nach ihrem verschollenen Vater
«Frau zu sein, ist in meinem Land ein Verbrechen»

Sie sass fünfmal im Gefängnis und musste mitansehen, wie ihr Vater ausgepeitscht wurde. Nach ihrer dramatischen Flucht kämpft Shima Babaei nun von Europa aus gegen das iranische Regime. SonntagsBlick traf sie in Genf, wo sie ausgezeichnet wurde.
Publiziert: 21.05.2023 um 00:11 Uhr
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Aktualisiert: 21.05.2023 um 13:33 Uhr
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Posiert mit dem Foto ihres vermissten Vaters: Shima Babaei am Geneva Summit for Human Rights and Democracy.
Foto: Darrin Vanselow
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Guido FelderAusland-Redaktor

«Ich melde mich morgen bei dir, wenn ich in der Türkei bin.» Es waren die letzten Worte, die Shima Babaei (28) von ihrem Vater Ebrahim Babaei (57) gehört hat. Am 21. Dezember 2021 versuchte der iranische Tierarzt und Regimekritiker mit 25 weiteren Personen über die türkische Grenze aus seinem Land zu fliehen.

Die sehnlichst erwartete Nachricht, dass ihr Vater in Sicherheit ist, ist bis heute ausgeblieben.

Vor einigen Monaten allerdings kontaktierte ein Mann Shima, der zur Flüchtlingsgruppe gehört hatte. Er berichtete ihr, dass iranische Sicherheitskräfte sie entdeckt und verhaftet hätten und er 24 Stunden lang mit ihrem Vater im Gefängnis verbracht habe. Was danach mit ihm geschehen sei, wisse er nicht.

Seit eineinhalb Jahren leben Shima und ihre Familie im Ungewissen. Zu Blick sagt sie: «Ich weiss nicht, wo mein Vater ist, was er isst, was er trägt. Ob er überhaupt noch lebt oder ob er umgebracht worden ist.» Diese Ungewissheit mache sie wütend und traurig. Shima: «Es gehört zu den Foltermethoden des Regimes, Informationen über Angehörige zu verweigern.»

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Zeugin von Hinrichtungen

Am Geneva Summit for Human Rights and Democracy hat Shima Babaei in dieser Woche die Geschichte ihres Vaters erzählt. Im persönlichen Gespräch mit Blick berichtete sie auch über ihren eigenen Kampf gegen das Regime, das ihren Vater verfolgt hat und die Frauen unterdrückt. Babaei: «Ich komme aus einem Land, in dem es ein Verbrechen ist, eine Frau zu sein.»

Ihr aktiver Widerstand begann, als sie 14 Jahre alt war. Sie musste mitansehen, wie ihr Vater ausgepeitscht wurde und Scharfrichter Todesurteile vollstreckten. Ebrahim Babaei, der seine Tochter bei deren Protest unterstützte, war unter anderem wegen «Verbreitung von Propaganda gegen das System» und «Störung der öffentlichen Meinung» zu sechs Jahren Haft und 74 Peitschenhieben verurteilt worden. «Ich durfte meinen Vater im Gefängnis nur einmal wöchentlich besuchen, nur hinter Glas.»

Haare als Waffe

Sie habe jede Gelegenheit ergriffen, ohne Kopftuch auf die Strasse zu gehen und Bilder von sich in den sozialen Medien zu posten. «Die Kleidung, die ich trug, war Kriegskleidung. Und ausserhalb des Hauses war mein Schlachtfeld.» Ihre Waffe: die offenen Haare.

«Es dauerte nicht lange, bis sie kamen», erzählt sie. Insgesamt wurde sie fünfmal verhaftet und sass über längere Zeit auch im berüchtigten Evin-Gefängnis in Einzelhaft. Sie war in jenem Gebäude verhört worden, in dem im September 2022 Mahsa Amini (†22) getötet wurde.

Wegen der jungen Iranerin sind in den vergangenen Monaten heftige Proteste entflammt, bei denen schon 530 Menschen ums Leben kamen. Über 500 Menschen wurde – offenbar mit Absicht – Gummischrot in die Augen geschossen, damit sie erblindeten. Über 100 Demonstranten droht die Todesstrafe.

Weil der Architekturstudentin eine sechsjährige Haftstrafe, ein Reiseverbot und der Entzug der Staatsbürgerschaft drohten, floh Shima Babaei 2018 unter grösster Gefahr aus dem Iran. «Die Grenzsoldaten schossen mehrmals auf mich!» Erst als sie einen Berg erklommen hatte, habe sie innegehalten. «Ich blieb stehen und blickte ein letztes Mal zurück auf mein Mutterland, das ich so sehr liebte und das ich dennoch verlassen musste.»

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Dank von Macron

Heute lebt sie mit ihrem iranischen Mann in Belgien, wo sie aus dem Exil gegen die Geschlechterdiskriminierung in ihrer Heimat kämpft. «Jeder Mensch soll sich kleiden, wie er möchte. Und jede Frau soll selbst entscheiden, ob sie sich ein Kopftuch aufsetzen will oder nicht», sagt sie. Seit den neu aufflammenden Protesten im Iran gilt Babaei als eine der prominentesten Stimmen im Ausland. Der französische Präsident Emmanuel Macron (45) hat ihr für ihr Engagement persönlich gratuliert.

Ihre Hoffnung ist gross, dass «Frausein in meinem Land bald kein Verbrechen mehr ist» und sie in ihre geliebte Heimat zurückkehren kann. Denn trotz massiver Repression gelinge es dem Regime nicht, die Opposition niederzuschlagen. «Zudem gibt es auch Streit innerhalb der Führung.»

«Kampf ist Pflicht»

Solche Hoffnungen machen sich allerdings viele Menschen, schon seit Jahren – bisher wurden sie nicht erfüllt. Die iranische Führung demonstriert ihre Macht mit voller Härte. So hat das Regime am Freitagmorgen wieder drei Demonstranten hinrichten lassen, weil sie bei Protesten im November 2022 in Isfahan drei Sicherheitskräfte getötet haben sollen. Amnesty International berichtet, dass die Geständnisse unter Folter erzwungen wurden.

Der Geneva Summit for Human Rights and Democracy hat Shima Babaei seinen Frauenrechtspreis verliehen. Die Iranerin bedankte sich für diese «besondere Auszeichnung» für ihren Kampf und betonte: «Dieser Kampf ist nicht meine Wahl, er ist meine Pflicht.»

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