Am Dienstagmorgen noch fütterte Narendra Modi (73) mit seinem «lieben Freund» Wladimir Putin (71) in einem Moskauer Pferdestall Rassenhengste. Am Abend dann posierte der 73-Jährige in Wien für ein Selfie mit Österreichs Kanzler Karl Nehammer (51).
Der Premier der 1,4-Milliarden-Nation auf Staatsbesuch in der kleinen Alpenrepublik? Dass Modi direkt von seiner Visite beim russischen Kriegsherren nach Wien übersiedelte, mutet komisch an. Sein Wien-Besuch ist dabei vor allem eines: ein Warnschuss vor den Bug der Schweiz.
Genau einen Monat ist es her, seit Bundespräsidentin Viola Amherd (62) und ihr Team auf allen Ebenen versuchten, Modi auf den Bürgenstock zu locken und ihn an den Verhandlungstisch der Ukraine-Konferenz zu holen. Vergeblich.
Modis Brief an den Blick
Da nützte auch Amherds Tweet nichts, mit dem sie dem zum zweiten Mal wiedergewählten indischen Premier am 6. Juni zur «Stärke der indischen Demokratie» beglückwünschte. Modi kam nicht. Der von ihm nach Nidwalden geschickte Diplomat hörte auf dem Bürgenstock zwar zu, unterzeichnete die Abschlusserklärung des Ukraine-Gipfels aber nicht.
Indien, das inzwischen 40 Prozent seiner Ölimporte aus Russland bezieht und fast die Hälfte seiner Militärgüter in Putins Reich produzieren lässt, hat sich bei der Ukraine-Frage bislang vornehm zurückgehalten. Der Hindu-Nationalist Modi schrieb zwar in einem offenen Brief, den er dem Blick und anderen Zeitungen Ende 2023 zugeschickt hatte, jetzt sei «keine Ära des Krieges».
Konkret aber tut der Mann wenig, um den Krieg zu stoppen. Nicht einmal den jüngsten russischen Angriff auf ein Kinderspital in Kiew wollte Modi verurteilen. Er umarmt Putin und telefoniert mit Biden, er kauft russisches Öl und importiert westliche Medizinalprodukte. Er streichelt Wladimirs Pferde und schreibt dankbare Zeilen in Nehammers Gästebuch. Ein «Brückenbauer» sei er, sagt Modi. Dass der Mann auf der Suche nach neutralen Partnern für seine Brückenbauer-Pläne jetzt ausgerechnet in unserem Nachbarland Selfies schiesst, ist ernüchternd für die Schweiz.
Die Eidgenossenschaft hält seit Beginn des Ukraine-Krieges an ihrem neutralen Korsett fest. Nicht zuletzt deshalb, weil man sich als Vermittlerin und Plattform für allfällige Friedensgespräche im Spiel halten will. Aussenminister Ignazio Cassis (63) betonte auf dem Bürgenstock explizit, dass die Schweiz Putin bei einem allfälligen Besuch in unserem Land trotz internationalem Haftbefehl nicht unbedingt verhaften würde. Es gäbe da legalen Spielraum.
Läuft Wien uns den Rang ab?
Offensichtlicher kann man sich kaum als neutrale Brückenbauerin vermarkten. Und doch: Ober-Brückenbauer Modi weilt in Wien, statt durch Bern zu bummeln. Ein Triumph für Kanzler Nehammer, dessen Land vor drei Jahren das sogenannte Amtssitzgesetz verabschiedet hat, das «die Abhaltung internationaler Konferenzen in Österreich» fördern soll.
Der Wettstreit zwischen den beiden Diplomatenstädten Genf und Wien ist uralt. Der Historiker Florian Keller der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften sprach in der NZZ kürzlich davon, dass Wiens diplomatische Bestrebungen «die freundschaftliche Beziehung zwischen der Schweiz und Österreich unter starke Belastungsproben» stelle.
Modis Besuch in Wien so kurz nach seiner Absage an Amherd macht die Situation noch verzwickter. Er freut die Servus-Fraktion so sehr, wie er die Grüezi-Seite foppt. Die Schweiz ist nicht mehr erste Wahl bei den mächtigen Friedensstiftern dieser Welt.