Es ist ein beunruhigendes Déjà-vu: Als Manöver getarnt zieht die serbische Regierung entlang der Grenze Truppen mit Artillerie, Flugabwehr und Panzer zusammen. Bilder, die man Anfang 2022 an der russischen Grenze zur Ukraine sah. Auch das Narrativ des Premiers Aleksandar Vucic (53) ähnelt dem Moskaus. So wie die Ukraine für Wladimir Putin (70) russisch ist, so gehöre der Kosovo den Serben, insbesondere der Norden des Landes. Beide Staatsführer beklagen ethnische Säuberungen ihrer Landsleute im Feindesgebiet. Doch würde Vucic wie Putin eine Invasion tatsächlich wagen?
Wie ernst ist die Lage an Kosovos Grenze?
Laut der kosovarischen Regierung sind am Freitag Einheiten der serbischen Armee in Richtung der nördlichen, nordöstlichen sowie östlichen Grenze des Kosovo marschiert, ausgerüstet mit Flugabwehrsystemen, Artillerie und Panzer. Das deute auf eine geplante Aggression hin, so Pristina weiter. «Extrem gefährlich», nennt auch Vedran Dzihic (47), Politikwissenschaftler an der Universität Wien, die Situation gegenüber Blick.
Droht ein neuer Balkankrieg?
Daran glaubt Experte Vedran Dzihic allerdings nicht. «Ein Einmarsch in den Kosovo würde einen offenen Krieg mit der Nato bedeuten», sagt der gebürtige Bosnier. Serbien sei von Nato-Staaten umgeben. «Das wäre politischer Selbstmord», so Dzihic weiter. Zudem hänge das Land wirtschaftlich vom Westen ab. «60 bis 70 Prozent der Direktinvestitionen kommen aus dem Ausland.» Aleksandar Vucic betreibe eine Schaukel-Politik, um es allen, dem Westen, Russland und China, recht zu machen.
Wie reagiert der Westen auf die militärische Bedrohung?
Das US-Aussenministerium und das deutsche Auswärtige Amt forderten unverzüglich den Truppenabzug. Die Nato verstärkt die Kfor-Friedenstruppen, Grossbritannien verschickt 650 Soldaten in den Kosovo. Daraufhin liess Serbiens Premier offenbar Teile seines Militärs zurückpfeifen. Dass Vucic die westlichen Mahnungen ernster nehme als Putin, liege an der Abhängigkeit Serbiens vom Westen, so Dzihic. Die Bedrohungskulisse des Westens habe gewirkt.
Wie kam es zu dieser Eskalation?
Seit Monaten schaukelt sich der Konflikt hoch. Streit um kosovarische Autokennzeichen für serbische Einwohner, von Kosovo verschärfte Einreiseregeln für Serben und die Nominierung albanischer Bürgermeister in Gemeinden mit serbischer Mehrheit im Nordkosovo sorgten für Ausschreitungen zwischen den Ethnien im Grenzgebiet. Die Gewalt gipfelte am 25. September 2023 in einem schwer bewaffneten paramilitärischen Angriff auf kosovarische Polizisten, bei dem ein Beamter zu Tode kam.
Wer steckt hinter den wiederholten Angriffen?
«Ohne die Zustimmung der Regierung oder des serbischen Geheimdienstes geht gar nichts», sagt Vedran Dzihic. Auch der Anschlag auf die Polizisten sei von Belgrad aus gesteuert. Organisiert wurde er vom Millionär Milan Radoicic (45). Der Anführer der Miliz, die zum Teil von der Wagner-Gruppe ausgebildet wurde, nahm öffentlich die alleinige Verantwortung auf sich. Eine Inhaftierung des «serbischen Prigoshin» in Serbien aber hat es nicht gegeben.
Welche Rolle spielt Putin im Konflikt?
«Putins Einfluss in Serbien ist gross. Die Serben verfolgen russische Medien, serbische Zeitungen übernehmen Putins Propaganda», sagt Vedran Dzihic. Und die ziele darauf, die Beziehung zum Westen zu stören. Russland sei in Serbien weit beliebter als der Westen, «die Sympathierate liegt bei 70 Prozent». Putin wäre der Einzige, der von einem neuen Balkankrieg profitieren würde.
Warum rasselt Serbien mit den Säbeln?
Einen Krieg plane Aleksandar Vucic nicht. Vielmehr kämpfe der serbische Präsident mit politischen Problemen im eigenen Land, sagt Vedran Dizhic weiter. «Vucic benutzt den Kosovo-Konflikt als Nebelgranate, um beispielsweise von den massiven Protesten der Opposition abzulenken.»