Mariupol wurde im Frühjahr 2022 zum Symbol der russischen Aggression in der Ukraine. Die Welt wurde Zeuge von furchtbarem Leiden und katastrophaler Zerstörung. Ein Grossteil der Stadt am Asowschen Meer wurde während der dreimonatigen Belagerung dem Erdboden gleichgemacht. Letztendlich fiel Mariupol in die Hände von Wladimir Putins (71) Truppen.
Der deutsche TV-Sender ZDF strahlte am Montag einen Bericht aus der besetzten Stadt aus. Online erschien der Beitrag ebenfalls, Titel: «Seltener Einblick in die russische Besatzung».
Er habe in der Stadt «sehr viel Zerstörung» gesehen, sagt ZDF-Korrespondent Armin Coerper (52) in dem Beitrag. Er habe aber auch «viel Wiederaufbau» beobachtet. «Schulen und ganze Wohnblöcke» seien derzeit im Bau. Der Journalist macht deutlich, dass das TV-Team die Situation in Mariupol nicht «vollständig» darstellen könne, spricht von «Momentaufnahmen». «Das heisst nicht, dass wir diese Besatzung von Russland anerkennen. Ich denke aber, dass es wichtig ist, sich ein Bild vor Ort zu machen», erläutert er seine Beweggründe für den Bericht.
Coerpers Argument können nicht alle nachvollziehen. In den sozialen Medien hagelt es Kritik.
«Beitrag normalisiert russische Besatzung»
Der Osteuropaexperte Sergej Sumlenny meldete sich auf X zu Wort. Seinen Thread beginnt er mit einer Beleidigung. «Der ZDF-Typ spricht, als ob man ihm Kalaschnikow ins Rektum gesteckt hat.» Besonders der Punkt der Schulen, die Russland angeblich baue, brachte ihn in Rage. «Er spricht erneut von neuen Schulen, welche die Russen in Mariupol, wo sie über 100'000 Zivilisten umgebracht haben, gebaut haben sollen. Was zum Teufel soll das, ZDF?» Der Beitrag sei «blosse Propaganda».
Coerpers Journalistenkollege Peter Althaus («Berliner Kurier») ist von dem Bericht ebenfalls enttäuscht. Nicht nur das Gesagte sei teilweise falsch – behauptet er – viel schlimmer sei das, was nicht gesagt werde. «Der ZDF-Kollege berichtet, dass sie sich frei bewegen können. Das mag sein. Dennoch gibt es dort keine freien Gespräche und schon gar keine Kritik an Russland gegenüber einem ausländischen TV-Team.» Menschen, die sich in den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten zur Ukraine bekennen würden, würden «abgeholt und abtransportiert».
Wenn man sich den TV-Beitrag anschaut, hört man jedoch, dass sich Coerper dieser Umstände sehr wohl bewusst ist und dies auch so anspricht. «Die, die offen mit uns sprechen, sind wahrscheinlich eher prorussisch. Wenn es Menschen gibt, die pro-westlich sind, dann sind die wahrscheinlich sehr viel zurückhaltender und fürchten Repressalien.»
Krista-Marija Läbe, Sprecherin einer Vereinigung von Ukrainern in Deutschland, reagierte entsetzt. «Der Beitrag normalisiert russische Besatzung», findet sie.
Sender wehrt sich gegen Kritik
Wie geht das ZDF mit der Kritik um? Gegenüber «Focus» teilt ein Sprecher mit: «Das ZDF nimmt die Kritik an der Berichterstattung aus Mariupol ernst.» Armin Coerper habe sich in Mariupol ein unabhängiges Bild von der Lage in den völkerrechtswidrig besetzten Gebieten machen wollen. Coerper habe herausgearbeitet, dass Gegner der russischen Besatzung Repressalien zu fürchten haben, wenn sie Kontakt zu westlichen Journalisten aufnehmen.
«Das ZDF hat in seiner Berichterstattung aus der Ukraine zu keinem Zeitpunkt Zweifel daran gelassen, dass es sich bei Mariupol um von Russland widerrechtlich besetztes Territorium handelt», wehrt sich der Sender weiter. Auch, wer in diesem Krieg Angreifer und Opfer sei, ist nach Ansicht des Fernsehkanals deutlich geworden. Eine andere Reporterin habe in der gleichen Sendung aus Odessa über die Sichtweise der Ukrainer auf die von Russland besetzten Gebiete berichtet.
Der Sender gesteht jedoch ein, dass eine Formulierung des Leiters des Moskauer ZDF-Studios, wonach die Stadt funktioniere, «missverständlich» gewesen sei. Was damit wirklich gemeint gewesen sein soll: Russland versuche, mit hohem Aufwand den Eindruck von Normalität zu erwecken.