Olexi Danilow (61) ist Chef des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine. Und damit einer der wichtigsten Figuren im Krieg. Sein Land steckt in grossen Schwierigkeiten. Doch beim Skype-Interview mit Blick wirkt der 61-Jährige entspannt. Vor allem eines stimmt ihn derzeit zuversichtlich.
Herr Danilow, die ukrainische Gegenoffensive hat den Durchbruch nicht gebracht. Was ist schiefgelaufen?
Nichts ist schiefgelaufen. Die Front in diesem Krieg ist riesig. In bestimmten Bereichen hat die Offensive nicht wunschgemäss geklappt, in anderen Bereichen haben wir grosse Erfolge erzielt. Denken Sie beispielsweise an die erfolgreichen Angriffe auf die Besatzer auf der Krim oder an die Schläge gegen die russische Schwarzmeerflotte.
Ist der zuletzt zögerliche Westen mitschuldig daran, dass die Gegenoffensive keinen Durchbruch erzielt hat?
Die Schweiz gehört auch zum Westen. Haben Sie uns Waffen geliefert?
Nein.
Dann kennen Sie die Antwort. Kaum ein Land, auch nicht die Schweiz, könnte einen Gegner wie Russland ohne Waffen und Unterstützung von Verbündeten besiegen.
Die Schweiz hält an ihrer Neutralität fest. Was erwarten Sie von unserem Land im kommenden Jahr?
Die Schweiz hat eines bis heute nicht verstanden: Hitler und Putin sind Zwillinge im Geist. Wenn ihr wollt, dass die Russen bald auch in Zürich Frauen und Kinder massakrieren, dann lehnt euch ruhig zurück und schaut zu. Aber ganz ehrlich: Wie kann man neutral bleiben, wenn man sieht, wie ein Land Tausende Kinder tötet und Frauen vergewaltigt? Wir sind eurem Land sehr dankbar dafür, dass ihr so vielen unserer Familien Schutz gegeben habt. Jetzt aber brauchen wir Waffen.
Am 14. Januar findet in der Schweiz eine Konferenz zur Friedens-Formel von Präsident Selenski statt. Kommt er persönlich nach Davos?
Mit dieser Frage beschäftigt sich das Büro des Präsidenten derzeit. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Was wollen Sie mit der Konferenz erreichen?
Wir wollen so viele Unterstützer wie möglich für unseren Zehn-Punkte-Friedensplan gewinnen. Das haben wir auch an früheren Konferenzen bereits gemacht. Wir haben glasklar aufgeschrieben, unter welchen Bedingungen wir einem Frieden mit Russland zustimmen. Die Terroristen müssen aus unserem gesamten Territorium – inklusive der Krim – abziehen. Zuvor wird dieser Krieg nicht beendet.
Sie betonen immer wieder, die Ukraine werde jeden besetzten Quadratmeter des Landes befreien. Die ganze Welt fragt sich: Wann denn? Wann ist der Krieg vorbei?
Es gibt keinen, der das weiss. Im Wesentlichen hängt es davon ab, was der Westen machen wird. Noch im November haben uns Grossbritannien und die USA versichert, dass sie uns bis zum Ende unterstützen werden. Diese Unterstützung brauchen wir.
Die USA haben ihre Unterstützung für die Ukraine gestoppt. Ohne neue amerikanische Waffen – Himars-Raketen, Panzer, Munition – muss Kiew bald kapitulieren.
Im Krieg haben Sie immer Probleme, immer. Das gehört dazu. Aber unsere Leute werden das Land verteidigen, ganz egal, was passiert. Die Sache mit der amerikanischen Hilfe ist eine rein technische Frage. Wir werden sie lösen.
Knapp sind auch die Soldaten: Die Armeespitze will laut Selenski fast 500'000 neue Soldaten rekrutieren. Werden jetzt auch Frauen, ältere Männer und die bislang verschonten Familienväter mit mehr als drei Kindern eingezogen?
Wir werden keine Frauen und ältere Männer zum Kriegsdienst zwingen! Wer etwas anderes behauptet, verfällt der russischen Propaganda. Man sollte aus der Forderung der Armee nach 500'000 neuen Soldaten keine Tragödie machen: Wir brauchen sie nicht alle auf einmal. Das ist ein ganz normaler Rekrutierungsprozess. Wir wollen unser Rotationssystem aufrecht halten können, damit unsere Soldaten sich erholen und ihre Familien besuchen können.
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Verteidigungsminister Rustem Umjerow will jetzt auch im Ausland lebende Ukrainer mobilisieren, um die Engpässe zu überbrücken. Wie holen Sie diese Männer in die Ukraine zurück?
Wir werden unsere Gesetze entsprechend anpassen. Sobald diese Veränderungen umgesetzt sind, können wir noch einmal darüber sprechen. Jetzt ist es zu früh.
Was ist mit den geflohenen Frauen? Noch immer leben Millionen von ihnen im Ausland. Sollen Sie zurückkehren, um dem Land in der schwierigen Phase zu helfen?
Wo sollen sie denn hin? Wir haben hier Krieg. Die Terroristen haben viele Städte komplett zerstört. Viele dieser Menschen haben alles verloren, was sie hier hatten.
Der Ruf nach Verhandlungen mit Putin wird lauter. Unter welchen Bedingungen würden Sie mit ihm zusammensitzen?
Der Friedensplan von Selenski regelt das deutlich: Die Russen müssen aus unserem Land abziehen. Davor wird es keine Verhandlungen geben.
Sie betonen immer wieder, Putins Imperium werde «sterben». Was macht Sie so zuversichtlich?
Russland wird bald untergehen, da bin ich mir sicher. Der Westen hatte eine falsche Vorstellung von Moskau. Russland ist ein Koloss auf tönernen Füssen. Und Putin wird enden wie Hitler: Er wird sich in einem Bunker erschiessen – oder schon zuvor getötet werden.
Seine Wiederwahl als Präsident am 17. März 2024 scheint ungefährdet.
Putin will Europa spalten und die Nato schwächen. Und schauen Sie, was passiert ist: Finnland ist neu in der Nato, Schweden bald auch, wir sind EU-Beitrittskandidat. Er ist ein schlechter Stratege.
Auch die Ukraine müsste nächstes Jahr Präsidentschaftswahlen durchführen. Finden Sie statt?
Wie soll das gehen? Wo sollen die Bewohner von Bachmut wählen gehen? Wie soll ein Soldat an der Front seine Stimme abgeben? Präsidentschaftswahlen in einem Krieg durchzuführen, wie wir ihn hier haben, ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Die Beliebtheitswerte von Präsident Selenski sind zuletzt gesunken. Es gibt Gerüchte über angebliche Streitigkeiten zwischen ihm und dem Armeechef Waleri Saluschni. Wie ist die Stimmung im ukrainischen Führungsteam?
Die Stimmung ist gut! Wir haben die Schwierigkeiten überwunden. Natürlich diskutieren wir, natürlich geht es da zuweilen heiss zu und her. Daraus zu folgern, dass wir Streit hätten, ist falsch. Die Zusammenarbeit ist intensiv. Selenski hat sich 123-mal mit der Armeespitze zu Verhandlungen getroffen.
Die Ukraine ist seit Dezember offizielle EU-Beitrittskandidatin. Wie kann die EU von der Ukraine profitieren?
Europa kann von uns lernen, wie man sich verteidigt und wie man für seine Werte kämpft.
Welche Anpassungen sind notwendig, um die Ukraine fit für die EU zu machen?
Die Ukraine muss zweisprachig werden. Englisch muss als obligatorisches Schulfach im ganzen Land eingeführt werden. Meine Enkelkinder können Englisch. Beim nächsten Interview können sie uns als Übersetzer helfen.
Sie erleben den Krieg seit bald zwei Jahren hautnah mit, haben ihr Zuhause verloren, stecken in einer schwierigen Lage. Gibt es etwas, das Ihnen Hoffnung macht?
Unser Volk gibt mir Hoffnung. Das Volk ist stark und mutig. Wir kämpfen nicht nur für die Ukraine, wir kämpfen für ganz Europa. Vergesst das nicht!
Olexi Danilow (61) ist Chef des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine. Damit hat der ausgebildete Tierarzt und Geschichtslehrer in Wolodimir Selenskis (45) Kriegskabinett grosses Gewicht. Jeden Morgen um 7 Uhr informiert er den Präsidenten über die wichtigsten News von den Geheimdiensten, der Armee und der Politik. Seit Beginn des Krieges organisiert und koordiniert er die Arbeit im Hauptquartier in Kiew.
Olexi Danilow (61) ist Chef des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine. Damit hat der ausgebildete Tierarzt und Geschichtslehrer in Wolodimir Selenskis (45) Kriegskabinett grosses Gewicht. Jeden Morgen um 7 Uhr informiert er den Präsidenten über die wichtigsten News von den Geheimdiensten, der Armee und der Politik. Seit Beginn des Krieges organisiert und koordiniert er die Arbeit im Hauptquartier in Kiew.
Übersetzung: Dina Didenko