Die Bilder sind nicht verblasst. Sie quälen, schüren Zorn. Noch heute. Am Mittag des Pfingstsonntags besteigen 15 Menschen die Gondel 3. Sie wollen den Panoramablick von Stresas Hausberg Mottarone geniessen. Es fehlen nur wenige Meter bis zur Bergstation. Da reisst das Zugseil. Die Gondel kippt abrupt nach hinten, rast ungebremst talwärts, wird vom Tragseil geschleudert und stürzt ab. 14 Menschen sterben, ein Bub (5) überlebt schwer verletzt.
Bald steht fest: Das Notbremssystem wurde absichtlich ausser Kraft gesetzt, das Leben der Gondelpassagiere wissentlich aufs Spiel gesetzt. Im Visier der Staatsanwaltschaft sind der technische Leiter Gabriele T.* (63), Wartungsingenieur Enrico P.* (51) und der Direktor der Seilbahn, Luigi N.* (56). Drei Tage nur sass das Trio in Haft. Dann liess Untersuchungsrichterin Donatella Banci Buonamici (56) die Beschuldigten wieder frei. Mittlerweile wurde sie vom Fall abgezogen.
Ein zweiter Absturz soll Unfallursache klären
Nun beantragt der Anwalt von Enrico P. ein ungeheuerliches Experiment. Andrea Da Porta (54) will auch die zweite Gondel abstürzen lassen! Unter den gleichen Umständen wie Gondel 3. Die Bilder sollen sich exakt wiederholen. Nur ohne Menschen an Bord. Der inszenierte Horrorcrash sollte, nach Da Porta, am 8. Juli 2021 durchgeführt werden und zur Klärung der Katastrophe beitragen. Denn sein Mandant habe die verschiedenen Kontrollen und Eingriffe an der Gondel der letzten Monate rekonstruiert. «Er kann sich den Bruch des Zugseils nicht erklären», sagt Da Porta gegenüber Ansa.
Am 23. Juni 2021 wurde der Toten des Seilbahnunglücks gedacht. Direkt an der Bergstation. Dort, wo das Grauen genau vier Wochen zuvor seinen Lauf nahm, kamen am Mittwoch Mitglieder der Bergwacht, des Zivilschutzes, der Rettungsmannschaften, Polizisten, Bürger und Bürgerinnen zusammen, um für die Opfer zu beten. Die Messe wurde von Franco Giulio Brambilla gehalten, dem Bischof von Novara. Dass sich nun der Gondelcrash wiederholen soll, wenn auch nur als Test, mag sich an der Bergstation wohl keiner vorstellen.
Verteidigung drängt auf schnelles Beweissicherungsverfahren
Andrea Da Portas Antrag bezieht sich auf das vorzeitige Beweissicherungsverfahren. Das hatten die Verteidiger gefordert. Es wurde von der neuen Untersuchungsrichterin genehmigt. Damit müssen am 8. Juli all jene, gegen die ermittelt wird, namentlich aufgelistet, die Beweise gegen sie erfasst worden sein. Sehr zum Ärger der Staatsanwältin. Olimpia Bossi hätte gern noch mehr Beweise gesammelt und den Kreis der Verantwortlichen möglicherweise erweitert.
* Name bekannt