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Schweizer «Safranfrau» erlebt Jahrhundertbeben in Marokko hautnah
«Man spürt den Hauch des Todes»

Vor elf Jahren erfüllte sich Christine Ferrari (62) einen Traum in Marokko. Die Baslerin pachtete eine Safran-Plantage. Am vergangenen Freitag, kurz nach 23 Uhr, wurde auch ihr «Paradis de Safran» in Ourika vom Beben erschüttert.
Publiziert: 13.09.2023 um 18:14 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2023 um 21:35 Uhr
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Christine Ferrari (62) beim Aufräumen nach dem starken Beben im Atlasgebirge.
Foto: zVg
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Myrte MüllerAussenreporterin News

Die Risse in der Fassade seien verspachtelt. Die Scherben habe sie längst zusammengekehrt, lose Steine zu einem Haufen gestapelt, erzählt Christine Ferrari im Blick. Tatkräftig nahm die gebürtige Baslerin die Aufräumarbeiten in die Hand. Denn auf der Plantage am Fusse des Atlasgebirges müsse das Leben weitergehen, sagt die Schweizer Landwirtin. Neue Safran-Knollen müssen eingepflanzt, die exotischen Pflanzen im botanischen Garten in Form gehalten, die Gäste, die noch nicht abgesagt haben, bekocht werden. Die Sonne scheint – und doch will der Schatten nicht weichen.

Seit elf Jahren produziert die gelernte Kauffrau aus Riehen BS Safran in Marokko. Sie führt Touristen durch die Blütenpracht ihres Gartens, serviert Tajine-Spezialitäten. Bis zu 6000 Gäste empfängt Christine Ferrari im Jahr. Darunter war auch Prominenz wie Hollywood-Star Salma Hayek (57), Meistergeigerin Anne-Sophie Mutter (60), der österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen (79).

Sogar Starkoch Alfred Schuhbeck (74) sowie die Küchenchefs von Donald Trump (77) und dem britischen Königshaus schauten der Schweizerin über die Schulter. In einem Buch wird Christine Ferrari «die Safranfrau» genannt.

«Ich war alleine, als die Erde bebte»

Der Zauber im «Paradis de Safran» im marokkanischen Ourika ist nun gebrochen. Die Stimmung sei bedrückend, sagt Christine Ferrari (62) am Telefon, «man spürt irgendwie den Hauch des Todes und eine Schwere auf dem Herzen». Am Freitagabend, kurz nach 23 Uhr erschüttert das schwerste Beben seit 120 Jahren das Königreich Marokko. Die Baslerin erlebt die Katastrophe hautnah.

«Da ich in der Regel um fünf Uhr früh aufstehen muss, schlief ich zu diesem Zeitpunkt schon. Da ging plötzlich das Rumpeln los», erzählt die Auswandererin im Blick-Interview, «die Kühlschranktür sprang auf, Dinge flogen vom Regal. Draussen bellten die Hunde. Meine Katzen standen wie erstarrt, mit aufgerissenen Augen vor mir. Es war schrecklich».

Christine Ferrari lebt allein in einem kleinen Lehmhaus. «Das war schon unheimlich», gesteht die Safran-Unternehmerin. Sie prüft noch in der Nacht die Schäden auf der Plantage. Sie sind überschaubar. «Ich habe ein gesundes Gottvertrauen und ging einfach wieder ins Bett», sagt Ferrari. Sie ahnt nicht, dass nur wenige Kilometer entfernt Tausende von Menschen sterben. Erst am nächsten Morgen kommt das böse Erwachen.

Der Elektriker verlor sechs Angehörige

Ihre Helfer erscheinen nicht zur Arbeit, dafür Hiobsbotschaften über Whatsapp. «Meine Mitarbeiter mussten im Freien übernachten. Sie standen unter Schock. Die Frauen haben geweint. In vielen Dörfern gab es keinen Strom mehr, kein Wasser. Die Menschen leben vom Brot, das nun nicht gebacken werden kann».

Der Elektriker von Christine Ferrari verliert in dieser Nacht sechs Familienmitglieder. Auch Ferraris deutsche Freundin Sabina Benchaira (56), die in der Altstadt von Marrakesch das Hotel Sherazade betreibt, hat Schäden am Haus. «Eine Aussenwand ist zusammengebrochen», erzählt Ferrari. Jetzt müsse der Schutt auf Eselskarren, durch die engen Gassen getragen werden. Doch es gibt kaum Handwerker. «Die Menschen wollen alle in den Bergen helfen und gehen in die Dörfer. In Marrakesch ist es schwierig, jemanden zu finden», sagt die Safranfrau.

Obwohl Marrakesch bei Weitem nicht so stark betroffen ist wie die Bergdörfer im Atlasgebirge, fehlt es auch in der Stadt zurzeit an vielem. Die Menschen kaufen in den Supermärkten vor allem Grundnahrungsmittel ein und bringen sie ins entlegene Bebengebiet. «Jeder hilft jedem. Das gehört zur Mentalität der im Atlasgebirge ansässigen Berber», erzählt die Baslerin weiter, «überall wird Geld gesammelt, um die in Not geratene Bevölkerung zu versorgen».

«Touristen dürfen sich nicht abschrecken lassen»

Christine Ferrari hat sich in den Jahren den Einheimischen angepasst. Sie spricht fliessend marokkanisch. Sie hat gelernt, sich als europäische Frau im maghrebinischen Land durchzusetzen. Nun nimmt sie gern die Gelassenheit der Berber an. «Sie klagen nicht. Wenn Du sie fragst, wie es ihnen nach dem Beben geht, sagen sie Al Hamdulillah», erklärt die Safranfrau, «es heisst Gott sei Dank». Gott sei Dank dafür, dass man noch lebe.

Das Beben sei vorbei, sagt Christine Ferrari, auch wenn viele Dörfer zerstört wurden, sei das Land auch heute eine Reise wert. «Die Tourismusbehörde hat heute verkündet, dass die Infrastruktur in Marrakesch funktioniert, der Flughafen offen ist, man wieder frei reisen kann», sagt die Safranfrau. Die Touristen sollten sich nicht abschrecken lassen. «Marokko ist noch immer schön und Gäste sind willkommen. Jeder Gast hilft den Menschen hier, ihr Leben wieder aufzubauen», sagt Christine Ferrari.

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