Auf einen Blick
- Tragische Wikinger-Expedition: Fünf Überlebende, eine Tote bei Nordsee-Überquerung
- Kapitän Andy Fitze plant weitere Expeditionen trotz des Unglücks
- Windgeschwindigkeiten erreichten 140 km/h statt der prognostizierten 75 km/h
Am 24. August stach die Crew der Naddoddur, ein rekonstruiertes Wikingerschiff, von den Färöer-Inseln in See. Ihr Ziel: Die historische Route der Wikinger über die Nordsee nach Norwegen zu segeln – in einem offenen Boot ohne Motor. Am Ende wurde die Reise zu einer Tragödie: Fünf der sechs Besatzungsmitglieder überlebten, doch Karla Dana (†29), eine Forscherin aus Mexiko, verlor ihr Leben.
Für Andy Fitze (56), den Expeditionsleiter und Kapitän des Schiffs, war die Mission weit mehr als ein Segeltörn. «Ich bin fasziniert davon, Dinge zu entdecken, die andere vielleicht gar nicht sehen wollen. Alles beginnt bei mir im Herzen. Genau so ist es auch hier passiert», sagt er zu Blick. Die Idee: die 1300 Jahre alte Wikingergeschichte in die Gegenwart zu holen und dabei Jugendliche zu inspirieren.
«Die Crew muss nicht nur segeln können»
Entstanden ist die Idee durch einen Zufall: Fitze, ein begeisterter Segler, feierte im April 2023 auf den Färöer-Inseln seinen Geburtstag, als ein Bootsbauer ihm den Nachbau eines Wikingerschiffs zeigte – die Naddoddur. Das Schiff wurde in den 90er-Jahren gebaut. «Ich wünsche mir nichts mehr, als dass dieses Erbe in die nächste Generation geht», sagte der Bootsbauer zu ihm. Fitze nahm sich dies zu Herzen und kam wenig später mit einer sechsköpfigen Crew zurück.
Drei Mitglieder waren bereits mehrfach mit ihm unterwegs, zwei waren zum ersten Mal bei einer Expedition von Fitze dabei. Sie alle müssen in Extremsituationen Verantwortung übernehmen. Jeder hat klare Aufgaben. «Die Crew muss so zusammengestellt sein, dass sie nicht nur segeln kann, sondern auch andere Fähigkeiten einbringt: Medizin, Navigation, Geschichtswissen.»
Eine Verkettung unglücklicher Umstände
Die Crew bereitete sich ein Jahr lang akribisch auf die Expedition vor. Auch Tests führte die Gruppe durch. «Das Boot war absolut seetauglich», betont der Expeditionsleiter. «Das Schiff wurde für das Meer gebaut und ist auch bereits über die Nordsee gesegelt, mit einem Beiboot.»
Doch die Nordsee birgt unberechenbare Gefahren. Am vierten Tag ihrer Reise kam alles anders als geplant. Eine Verkettung unglücklicher Umstände, meint Fitze. «Die Wetterprognosen lagen komplett daneben. Statt 75 hatten wir 140 Kilometer pro Stunde schnellen Wind.» Dann traf sie eine sogenannte «Freak-Wave» von hinten, eine riesige Monsterwelle. «Wir wurden wie bei einem Salto nach vorne geworfen – ein völlig unvorhersehbares Ereignis.» Sekunden später war die Crew im Wasser – mitten im Sturm. «Wir hatten sieben Notrufsender dabei und haben fünf sofort ausgelöst. Die norwegische Küstenwache war alarmiert», so der Crew-Chef.
«Wir mussten sie zurücklassen»
Während fünf Crew-Mitglieder überlebten, endete die Reise für das jüngste Crew-Mitglied tödlich. Fitze versuchte noch, die 29-Jährige zu reanimieren, aber es gelang ihm nicht. «Wir mussten sie zurücklassen und uns aufs Rettungsboot retten», erinnert er sich zurück. «Erst dort bekamen die letzten zwei mit, dass wir Karla verloren haben.» Alle trugen Überlebensanzüge, durch die die Sicht extrem eingeschränkt war.
Drei Rettungshelis, vier Rettungsboote und mehrere kommerzielle und zivile Schiffe machten sich auf die Suche. Fitze, drei weitere Schweizer und ein Norweger wurden gerettet. Dana wurde am nächsten Morgen, angebunden an das Schiff, tot geborgen.
Die Polizei hat die Ermittlungen eingestellt
Die Tage nach dem Unglück waren für Fitze und die Crew von Schock geprägt. «Doch mit der Zeit wurde uns klar, dass es ein Wunder ist, dass fünf von uns überlebt haben.» Auch dem 75-jährigen färöischen Bootsbauer tat es unheimlich leid. Doch die Crew versicherte ihm: «Dein Boot hat fünf von uns das Leben gerettet.»
Die Polizei in Norwegen erklärte das Unglück später als «tragischen Unfall», für den niemand verantwortlich sei. «Das Wetter habe sich schnell und drastisch verschlechtert», hiess es. Die Ermittlungen wurden eingestellt.
«Ich gehöre aufs Meer»
Trotz der Tragödie will der Schweizer weitermachen, auch im Andenken an die verstorbene Mexikanerin. «Wir sind vielleicht risikobereit, aber nicht lebensmüde. Aus dieser Erfahrung werden wir lernen und die Sicherheitsvorkehrungen weiter verbessern», beteuert er.
Fitze hat schon über 20 Expeditionen angeführt und wurde 2023 Mitglied des «Explorer-Clubs», der weltweit Abenteurer und Forscher vereint. Auch Dana war Teil dieses Clubs, zu dem auch der US-Astronaut Neil Armstrong (1930 – 2012) und drei Mitglieder der Schweizer Abenteurerfamilie Piccard gehören. Zum Abschluss meint Fitze: «Ein Segelboot gehört nicht in den Hafen, sondern aufs Meer – und genauso auch ich.»