Die Szene ging um die Welt. Alle Spieler der iranischen Fussballnationalmannschaft weigerten sich, an der WM in Katar die Nationalhymne zu singen. «Ein stiller Protest», schreibt der Economist. «Das laute Schweigen», titelt der Spiegel. «Die Welt feiert die mutigen Iran-Helden», vermeldet «Bild». So berichten die Medien über das Ereignis vom Montag. Die meisten nennen es ein unglaubliches Zeichen zur Unterstützung der Proteste, die den Iran seit gut zwei Monaten erschüttern: Grosse Teile der Bevölkerung fordern den Sturz des Regimes, dies im Nachgang zum Tod von Mahsa Amini (†22), die bei einem Einsatz der Sittenpolizei starb.
Ein Zeichen der Unterstützung ist es auch. Aber das ist nur ein Teil der Geschichte. Wie Iran-Experte Hamid Hosravi (55) von der Universität Zürich zu Blick sagt, ging es nicht zuletzt um eine Wiedergutmachung. «Ich glaube, die Spieler haben ein schlechtes Gewissen», so Hosravi. «Sie haben gemerkt, dass sie etwas Schlimmes getan hatten.»
Audienz beim Regime sorgte für Kritik
Konkret meint Hosravi die vorgängige Audienz der Mannschaft bei Staatspräsident Ebrahim Raisi (61). Viele Iranerinnen und Iraner, die die Protestbewegung unterstützen, hätten das mit sehr grossem Unmut aufgefasst. In der Tat: «Die wahre iranische Fussballnationalmannschaft spielt seit zwei Monaten auf den Strassen und Plätzen um ihr Leben, für Freiheit und Demokratie», war daraufhin in den sozialen Medien zu lesen. «Ihr Gegner ist das despotische Mullah-Regime.»
Die iranische Nati hatte also zu weiten Teilen den Rückhalt beim Volk verloren. Im Nachgang zum Spiel, das sie gegen England mit 2:6 verlor, jubelten deshalb zahlreiche Demonstrierende – es handelt sich um die zweithöchste Niederlage für den Iran. Die Protestierenden schwangen englische Banner und sangen «Sechs, sechs, sechs». Das zeigt ein Video auf Twitter.
Hat die «Entschuldigung» der Nati denn etwas gebracht? «Man muss abwarten, wie die Spiele weiter verlaufen», sagt Experte Hosravi.
Drohen jetzt Sperren oder sogar eine Gefängnisstrafe?
Das iranische Regime ist bekannt dafür, mit aller Härte gegen die Proteste vorzugehen. So reagiert es mit roher Gewalt auf die Demos. Drohen den Spielern jetzt allenfalls Sperren oder sogar eine Haftstrafe? Hamid Hosravi: «Ich gehe von keiner grösseren Repression aus, weil sie nur geschwiegen und keine grundsätzliche Spielverweigerung an den Tag gelegt haben.» Und: «Sie sind eben zur Audienz erschienen.»
Allerdings unterbrach der iranische Staatssender die Live-Übertragung bei der Hymne. Die Regime-nahe Zeitung «Keyhan» nannte das Verhalten der Spieler zudem «ehrenlos».
Die Proteste gehen weiter. Laut Angaben der Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights sind mindestens 378 Personen getötet worden, darunter 47 Kinder. Zuletzt wurden zwei Schauspielerinnen festgenommen, wie etwa die «Die Zeit» berichtet.