Die European Cockpit Association (ECA) hat im Juli 6893 Pilotinnen und Piloten aus 31 europäischen Ländern gefragt, ob sie in den vorhergehenden vier Wochen schon einmal unbeabsichtigt für einige Sekunden im Dienst eingeschlafen waren. Beunruhigend: Die Mehrheit der Befragten bejahte.
Nahezu die Hälfte von ihnen (49,6 Prozent) gab an, in den vier Wochen vor der Umfrage ein- bis viermal unter Sekundenschlaf gelitten zu haben. 17,4 Prozent erlebten dies fünf- bis neunmal, 6,6 Prozent zehn- bis 19 Mal und 2,2 Prozent sogar mehr als 20 Mal. Lediglich etwa ein Viertel der Befragten (24,1 Prozent) hatte niemals mit solchen Ermüdungsanfällen zu kämpfen.
Viele bemängeln ungenügende Erholungszeit
Wie das Branchenmagazin «Aero Telegraph» schreibt, sind die Zahlen besonders besorgniserregend, weil sie sich auf die Zeit vor der Hochsaison beziehen, in der die Belastung noch geringer war. Die Umfrage versucht auch mögliche Ursachen für das Sekundenschlaf-Problem zu benennen: Laut der Umfrage gaben 34,8 Prozent der befragten Pilotinnen und Piloten an, im betreffenden Zeitraum oft nicht genügend Zeit zur Erholung zwischen den Einsätzen gehabt zu haben. Weitere 38,2 Prozent gaben an, gelegentlich ungenügend erholt zur Arbeit gegangen zu sein.
Die Unterschiede in Bezug auf unzureichende Erholung zwischen den Ländern sind signifikant. In Grossbritannien zum Beispiel gaben rund 45 Prozent des Cockpitpersonals an, dass sie oft oder normalerweise nicht ausreichend erholt zur Arbeit erscheinen können. Ähnlich hohe Werte wurden in Irland und Spanien verzeichnet. In der Schweiz, in Deutschland und Österreich liegen diese Werte hingegen zwischen 25 und 30 Prozent.
Akuter Personalmangel seit Corona
Stefan Herth, Präsident der deutschen Gewerkschaft des Cockpitpersonals: «Der Bericht hat uns noch einmal klar vor Augen geführt, dass die Belastungen der Pilotinnen und Piloten in Spitzenzeiten oftmals über das sicherheitsverträgliche Mass hinaus gehen.» Sekundenschlaf und totale Erschöpfung dürfe es nicht geben. «Gesetzliche Limits dürfen keine Zielgrössen für die Planungen der Flugbetriebe sein. Das müssen Politik und Behörden mit entsprechender Regulierung sicherstellen.»
Die Luftfahrtbranche hat mit einem akuten Personalmangel zu kämpfen. Aufgrund der Corona-Pandemie schickten die Fluggesellschaften zahlreiche Pilotinnen und Piloten frühzeitig in den Ruhestand oder entliessen sie sogar. Jetzt wollen die Leute wieder fliegen – und den Airlines fehlt es an Personal. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Oliver Wyman fehlen derzeit weltweit fast 19'000 Pilotinnen und Piloten. Innerhalb der nächsten Jahre wird sich das Problem demnach weiter verschärfen. (noo)