Schicksalswahl steht bevor
Stolze Schotten wollen zurück in die EU – um jeden Preis?

Am Donnerstag wählen die Schotten. Es geht dabei um viel mehr als nur ein neues Parlament.
Publiziert: 04.05.2021 um 15:47 Uhr
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Aktualisiert: 06.05.2021 um 15:39 Uhr
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Klares Ziel: Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon will die Unabhängigkeit von London.
Foto: DUKAS

Es ist noch nicht so lange her, dass Schottland über die Unabhängigkeit abgestimmt hat. Am 18. September 2014 entschieden sich die Schotten knapp gegen eine Abspaltung von Grossbritannien. London warb – unterstützt von Brüssel – damals kräftig um die Gunst der Schotten. Ein Hauptargument: Bleibt ihr dem Vereinigten Königreich treu, bleibt ihr auch in der EU.

Doch nur zwei Jahre später stimmte Grossbritannien für den Brexit. Die meisten Schotten wollten in der EU bleiben – die meisten Engländer jedoch nicht. Seither fühlt sich Schottland betrogen.

Nun nimmt das Land erneut Anlauf für eine Trennung. Am Donnerstag, dem 6. Mai, ist Parlamentswahl. Und die Schottische Nationalpartei (SNP) von Regierungschefin Nicola Sturgeon (50) ist die klare Favoritin. Holt sie die absolute Mehrheit, kann ihr Briten-Premier Boris Johnson (56) das gewünschte neue Unabhängigkeitsreferendum wohl nicht verweigern.

Das sorgt bei Britinnen wie Ami für Sorgen. Mit Mann und drei Kindern wohnt die Endzwanzigerin in England, arbeitet aber im schottischen Ort Gretna Green gleich hinter der Grenze. «Warum sollen wir das hier auseinanderreissen?», fragt sie. «Das lässt sich doch auch nicht voneinander lösen.»

Der «Scoxit» wäre teurer als der Brexit

Die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Schottland und dem Rest des Königreichs sind riesig, der Handel beträgt ein Vielfaches des schottischen Handels mit der EU. Bis zu dreimal teurer als die Kosten des Brexits sei eine Unabhängigkeit für Schottland, haben Wissenschaftler der London School of Economics errechnet. Das gelte selbst für den Fall, dass Schottland – wie von SNP-Chefin Sturgeon angepeilt – wieder der EU beitritt.

Diese wirtschaftliche Problematik betont der schottische Ableger von Johnsons Konservativer Partei stets. Welche Währung wird Schottland haben, zumal ohne Zentralbank? «Es gibt eine Menge unbeantworteter Fragen in Bezug auf die EU, die die SNP beantworten muss», sagt Murdo Fraser, finanzpolitischer Sprecher der Konservativen.

In die Hände spielen könnte der Partei eine Spaltung der Unabhängigkeitsbefürworter. Sturgeons Vorgänger als Regierungs- und Parteichef, Alex Salmond, hat kürzlich seine eigene Partei gegründet. Zwar betont Salmond, sein Ziel sei eine «Super-Mehrheit» für die Unabhängigkeit. Doch aufgrund des Wahlsystems, das dem deutschen ähnelt, könnte seine neue Partei der SNP Stimmen wegnehmen – und das komme den Unabhängigkeitsgegnern zugute, sagt Fraser.

Sturgeon ist beliebter als Johnson

Das wahre Ausmass ist völlig offen. Umfragen zeigten zuletzt eine leichte Mehrheit für die Anhänger der Union, nachdem monatelang die Befürworter einer Loslösung vorne gelegen hatten. Die Folgen des Brexits seien nicht so schlimm ausgefallen wie von vielen befürchtet, führt Fraser als Grund an. Zudem habe Grossbritannien wegen des Erfolgs der Corona-Impfkampagne an Ansehen gewonnen.

Doch der Politologe Peter Lynch weist auf die grosse Beliebtheit von Regierungschefin Sturgeon hin, die ihr Land mit klarer Führung durch die Pandemie gesteuert hat. Im direkten Vergleich mit Boris Johnson würde Sturgeon vermutlich einen Erdrutschsieg landen.

Ohne Johnsons Zustimmung kein Referendum

In Edinburgh steht Angus Robertson vor einem Supermarkt und verteilt Flugblätter. Der Sohn einer Deutschen will den Konservativen ihren Sitz abnehmen. «Ich bin der proeuropäische, der internationale Kandidat und mein Gegenüber von den Tories ist für Boris Johnson und die ganze Brexit-Katastrophe», sagt er im Gespräch mit der DPA. Es sei Zeit, dass die Schotten ihren eigenen Weg gehen könnten, denn die britische Regierung kümmere sich nicht um den nördlichen Landesteil. «Wir werden von den Tories regiert in London, die seit 1955 keine einzige Wahl in diesem Land, in Schottland, gewonnen haben.» Beispiel: der Brexit. Den hatten 2016 fast zwei Drittel der Schotten abgelehnt.

Das Hindernis: Für eine neue Volksbefragung muss London mitspielen. Ohne Johnsons Zustimmung ist kein Referendum möglich. Und der Premierminister hat deutlich gemacht, dass er nicht zustimmen wird. Das Votum von 2014, als eine knappe Mehrheit für den Verbleib im Königreich stimmte, sei eine Generationenentscheidung. Das will wiederum die SNP nicht akzeptieren. Sie betont, mit dem Brexit habe sich die Ausgangsbedingung verändert.

Ihr Argument: Die britische Regierung verhält sich demokratiefeindlich, wenn der Wille der Menschen in Schottland ignoriert wird. Doch Robertson gibt sich siegessicher. Er sieht die Umstände aufseiten der SNP. Denn wählen dürfen auch viele Ausländer, die in Schottland leben, sie sind meist weltoffen und proeuropäisch, oft stimmen sie für die SNP.

Hinzu kommt die Demografie. Zu fast drei Vierteln sprechen sich junge Schotten für die Loslösung von London aus, während ältere Menschen die Union beibehalten wollen. Der Trend werde andauern, betont Robertson. «Wir werden gewinnen.» (SDA/kin)

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