Ein Ende des Ukrainekrieges ist nicht in Sicht. Das Gleiche gilt für die Herrschaft von Kremlchef Wladimir Putin (70). Seit bald einem Vierteljahrhundert ist er an der Macht, und offenbar soll das noch lange so gehen. Denn einfach so abzudanken, hat Putin nicht vor, weiss Russland-Expertin Fiona Hill (57). Für ihn gebe es nur eine Option. «Er will im Amt sterben. Egal auf welche Weise», sagt sie im Interview mit dem deutschen Magazin «Stern».
Hill arbeitete als Russland-Beraterin unter anderem für die ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush (76) und Barack Obama (61) im Weissen Haus. Die Sicherheitsexpertin befasst sich seit Jahren mit dem russischen Präsidenten – und stellt eine Veränderung fest.
«Früher war für Putin auch die Wirtschaft sehr wichtig», erklärt Hill weiter. Heute zähle für ihn nur noch historische Grösse. Putin versuche, um jeden Preis in die Geschichtsbücher einzugehen. So wie andere historischen Schlüsselfiguren der russischen Geschichte wie die Zaren, zum Beispiel Peter der Grosse (1672–1725).
Putin hält an Zarenzeit fest
Es scheint, als trauere Putin den Zeiten vor der Sowjetunion hinterher. «Für Putin ist dieses riesige russische Reich kein Gebilde aus einer dunklen Vergangenheit», so die Expertin. Dabei sei es für die meisten Russen ein Kapitel des Schreckens. Armut, Unterdrückung und Kriege gehörten etwa zu Zeiten Peter des Grossen zum Alltag. Doch durch ihn wurde Russland zum Macht-Staat in Europa. Und der Zar ist Putins grosses Vorbild.
Hill erklärt: «Er holt all diese uralten Verträge aus dem Kreml-Archiv hervor und glaubt, jedes Land, das Russland je in seiner Geschichte einmal erobert hat, gehört auch heute zu Russland.» Osteuropa-Experte Alexander Wöll (54) sagte Ähnliches bereits im Dezember zu Blick. «Putin sieht sich selbst in der Tradition der Zaren», so der Slawist. «Er kann seinen Bürgern wie ein Zar alles geben und wegnehmen.»
«Er ist paranoid geworden»
Die Corona-Pandemie könnte in Putin diese Sehnsucht nach dem grossen russischen Reich erschaffen haben. «Plötzlich war er total isoliert. Ich glaube, er hatte keinen wirklichen Kontakt mehr mit Leuten, die ihn von seinen Ideen hätten abbringen können», erklärt Hill. Und: «Ich glaube, Putin ist paranoid geworden.»
Dass Putin den Befehl zur Sprengung des Kachowka-Damms gegeben hat, hält die Sicherheitsexpertin für sehr wahrscheinlich. Immer wieder prahle der Kremlchef damit, dass das Kommando seines Vaters im Zweiten Weltkrieg die Infrastruktur der Feinde zerstörte. Ausserdem ist sie sicher: «Die Aktion ist auch ein Zeichen, dass sich die Russen vorbereiten für eine brutale Schlacht.» (jwg)