Theresa May sitzt in der Falle! Ihre Minister treten reihenweise zurück, ihr grösster Widersacher will das Misstrauensvotum, und der mühsam verhandelte Brexit-Deal hat kaum Chancen, durchs Parlament zu kommen.
Entsprechend müde sieht die Premierministerin aus, als sie sich am Donnerstag den Fragen der Abgeordneten im britischen Unterhaus stellt. Immer und immer wieder erklärt sie, was es mit dem 585 Seiten starken Entwurf auf sich hat, auf den sich die Verhandlungsführer der EU und die britische Regierung zwei Tage zuvor geeinigt haben.
Massenrücktritt
Für eine kurze Zeit sah es gut aus für May: Am Mittwoch stimmte ihr Kabinett nach einer Marathonsitzung dem Abkommen zu. Doch seither wirft ein Kabinettsmitglied nach dem anderen den Bettel hin. Erst Nordirland-Staatssekretär Shailesh Vara, dann Brexit-Minister Dominic Raab, zuletzt nahm auch Arbeitsministerin Esther McVey aus Protest den Hut. Grund: Mays vorgelegter Deal entspreche nicht dem Brexit-Votum der britischen Bürger!
«Die Brexit-Verfechter sind mit der Wischiwaschi-Kompromisslösung nicht einverstanden», sagt Anglistik-Professorin Ina Habermann zu BLICK. Habermann beschäftigt sich wissenschaftlich mit dem Brexit. «Ihnen wäre es sogar lieber, ohne Deal aus der EU rauszugehen.»
«Kann nicht erkennen, was sie besser hätte machen können»
Die Übergangsphase, die May durchsetzen möchte, ist zeitlich nicht klar begrenzt, und der Entwurf enthält zahlreiche Sicherheitsventile wie den «Irish Backstop». Der würde sicherstellen, dass es zwischen Irland und Nordirland in keinem Fall zu einer harten Grenze kommt – selbst, wenn Grossbritannien die EU ohne Austrittsabkommen verlässt. «Ich kann aber nicht erkennen, was May anders oder besser hätte machen können», sagt Habermann.
Vor allem die Irland-Frage stellt die Premierministerin vor ein unlösbares Problem, das sich durch die vorgezogenen Neuwahlen im vergangenen Jahr verschlimmert hat. Ihre Tory-Partei hatte dadurch die absolute Mehrheit im Unterhaus verloren und ist im Parlament seither auf die Unterstützung der DUP angewiesen. Die nordirischen EU-Skeptiker sind das Zünglein an der Brexit-Waage. Sie wollen lieber eine harte Grenze in Irland, als noch länger mit der europäischen Staatengemeinschaft verbunden zu sein.
Überall Widerstand
Doch auch die anderen Interessengruppen machen May ein Vorankommen schwer. Die Schotten wollen nicht, dass die Iren gesonderte Rechte bekommen, die Labour-Partei will die Verlängerung von EU-Abhängigkeiten verhindern, und den Brexiteers, den Verfechtern eines harten Brexits, geht ohnehin nichts weit genug.
Der am Dienstag ausgehandelte Deal (siehe Infokasten) bedeutet: Grossbritannien muss nach dem Austrittsdatum am 29. März 2019 weiterhin kräftig zahlen und sich an EU-Regeln halten, hat aber kein Mitspracherecht mehr. Alles in allem: eine teure, schwierige und mühsame Lösung – aber auch eine, die sicherstellt, dass das Land die EU nicht ohne Sicherheitsnetz verlässt.
Die Verhandlungsführer von EU und britischer Regierung haben sich am 13. November 2018 auf einen Entwurf für ein Brexit-Abkommen geeinigt. Die wichtigsten Punkte:
Übergangsphase
Bis zum 31. Dezember 2020 (verlängerbar) bleibt Grossbritannien vorerst im EU-Binnenmarkt und der Zollunion, um einen harten Schnitt für die Wirtschaft zu verhindern.
EU-Bürger
Die rund drei Millionen EU-Bürger in Grossbritannien und die eine Million Briten in anderen EU-Ländern haben das Recht zu bleiben, zu arbeiten oder zu studieren sowie Ansprüche bei Krankenversicherung, Renten und sonstigen Sozialleistungen.
Finanzverpflichtungen
Grossbritannien soll auch über das Austrittsdatum hinaus alle bereits eingegangenen Finanzverpflichtungen erfüllen.
Nordirland
Durch den Brexit drohte eine «harte Grenze» zwischen Irland und Nordirland mit wiedereingeführten Personen- und Güterkontrollen, die beide Seiten unbedingt vermeiden wollen. Dies soll nun durch drei Optionen garantiert werden.
Künftige Beziehungen
Ziel ist laut Dokument bei Waren die «Schaffung eines Freihandelsgebiets» ohne Zölle, Abgaben, Gebühren oder mengenmässige Beschränkungen.
Die Verhandlungsführer von EU und britischer Regierung haben sich am 13. November 2018 auf einen Entwurf für ein Brexit-Abkommen geeinigt. Die wichtigsten Punkte:
Übergangsphase
Bis zum 31. Dezember 2020 (verlängerbar) bleibt Grossbritannien vorerst im EU-Binnenmarkt und der Zollunion, um einen harten Schnitt für die Wirtschaft zu verhindern.
EU-Bürger
Die rund drei Millionen EU-Bürger in Grossbritannien und die eine Million Briten in anderen EU-Ländern haben das Recht zu bleiben, zu arbeiten oder zu studieren sowie Ansprüche bei Krankenversicherung, Renten und sonstigen Sozialleistungen.
Finanzverpflichtungen
Grossbritannien soll auch über das Austrittsdatum hinaus alle bereits eingegangenen Finanzverpflichtungen erfüllen.
Nordirland
Durch den Brexit drohte eine «harte Grenze» zwischen Irland und Nordirland mit wiedereingeführten Personen- und Güterkontrollen, die beide Seiten unbedingt vermeiden wollen. Dies soll nun durch drei Optionen garantiert werden.
Künftige Beziehungen
Ziel ist laut Dokument bei Waren die «Schaffung eines Freihandelsgebiets» ohne Zölle, Abgaben, Gebühren oder mengenmässige Beschränkungen.
Das, so vermutet Expertin Habermann, sei auch dem Brexit-Minister Dominic Raab nun klar geworden. Erst vor einigen Tagen hatte er sich mit einer Äusserung zum Handel zwischen Grossbritannien und dem Festland heftigen Spott eingehandelt. Ihm sei das volle Ausmass der Bedeutung des Ärmelkanals für den Handel nicht klar gewesen, hatte Raab bei einer Konferenz in London gesagt. «Raab hat zugegeben, dass er die Sache gar nicht durchdrungen hat und stand als Obertölpel da», sagt Habermann. «Jetzt nutzt er die Gelegenheit zum Abgang, weil er nicht weiss, wie er es in den Griff kriegen soll, wenn sich die LKW am Ärmelkanal stauen.»
Die Strecke Dover–Calais ist die wichtigste Verbindung zwischen Grossbritannien und dem Kontinent. Schiffe transportieren 2,5 Millionen Lastwagen pro Jahr über die Meeresenge. Unter dem Ärmelkanal verläuft zudem der Eurotunnel mit Zügen für Personen und Fahrzeugen.
Ist für May bald Schluss?
Doch auch wenn sich manche der zurückgetretenen Kabinettsmitglieder möglicherweise nur elegant aus der Affäre ziehen wollen, macht dies die Sache für Theresa May nicht leichter. Die Rücktritte schwächen die Regierung und die Unterstützung für den Brexit-Deal, der im Dezember vom Parlament beschlossen werden muss (siehe Infokasten). Ob sie ihn dort durchbekommt, ist fraglich – und ob sie überhaupt so lange Premierministerin ist, auch.
Der führende Brexit-Befürworter Jacob Rees-Mogg (Conservative Party) will im Parlament ein Misstrauensvotum gegen May anstrengen. Denn selbst ihre eigene Partei revoltiert gegen May. Expertin Habermann: «Deshalb wird May wohl auch kaum die Vertrauensfrage stellen. Dass sie selbst zurücktritt, glaube ich eher nicht.»
Die Hinterbänkler sind dem Misstrauensvotum nicht abgeneigt. Zudem haben bereits 84 Torys angekündigt, gegen den Deal stimmen zu wollen – rund ein Viertel der Parteiabgeordneten.
- 12. März: Das Parlament stimmt im sogennanten «meaningful vote» über das zwischen May und der EU ausgehandelte Brexit-Abkommen ab. Zum zweiten Mal entschied das Parlament gegen Mays Deal (mit 391 zu 242 Stimmen).
- 13. März: Die Premierministerin lässt darüber abstimmen, ob Grossbritannien die EU ohne Deal verlassen soll. Das wäre ein harter Brexit, der wegen fehlender Übergangsbestimmungen in ein Chaos führen könnte. Kommt es bei der Abstimmung zum No-Deal zu einem Nein, entscheidet das Parlament für oder gegen eine Verschiebung des Brexit.
- 14.März: Die Abgeordneten entscheiden über die Brexit-Verschiebung. Nein = EU-Austritt am 29. März, vermutlich ohne Deal; Ja = London bittet EU um Verlängerung der Frist.
- Für die Umsetzung eines Abkommens müssen mindestens 20 EU-Länder zustimmen, die für 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen. Kommt eine Mehrheit nicht zustande, tritt Grossbritannien ohne Deal aus der EU aus.
- Der Austritt erfolgt in jedem Fall am 29. März 2019.
- 12. März: Das Parlament stimmt im sogennanten «meaningful vote» über das zwischen May und der EU ausgehandelte Brexit-Abkommen ab. Zum zweiten Mal entschied das Parlament gegen Mays Deal (mit 391 zu 242 Stimmen).
- 13. März: Die Premierministerin lässt darüber abstimmen, ob Grossbritannien die EU ohne Deal verlassen soll. Das wäre ein harter Brexit, der wegen fehlender Übergangsbestimmungen in ein Chaos führen könnte. Kommt es bei der Abstimmung zum No-Deal zu einem Nein, entscheidet das Parlament für oder gegen eine Verschiebung des Brexit.
- 14.März: Die Abgeordneten entscheiden über die Brexit-Verschiebung. Nein = EU-Austritt am 29. März, vermutlich ohne Deal; Ja = London bittet EU um Verlängerung der Frist.
- Für die Umsetzung eines Abkommens müssen mindestens 20 EU-Länder zustimmen, die für 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen. Kommt eine Mehrheit nicht zustande, tritt Grossbritannien ohne Deal aus der EU aus.
- Der Austritt erfolgt in jedem Fall am 29. März 2019.