Es war ein Horror-Tag für Kremlchef Wladimir Putin (71): Am Dienstag attackierten pro-ukrainische russische Rebellen Ortschaften in Russlands Westen, besetzten nach eigenen Angaben sogar zwei Ortschaften in den Regionen Belgorod und Kursk. Und ukrainische Streitkräfte griffen russische Grossstädte wie Woronesch und Sankt Petersburg mit Drohnen-Schwärmen an, zerstörten kritische Infrastruktur wie Öl-Depots und Regierungsgebäude.
Am Mittwoch geht es in derselben Manier weiter: gross angelegte ukrainische Drohnenattacken auf Russland. Alles in allem deuten die Aufnahmen und Reaktionen beider Seiten darauf hin, dass es zu ernsthaften Kämpfen im russischen Grenzgebiet kam. Und all das ausgerechnet wenige Tage vor den russischen Präsidentschaftswahlen, die vom 15. bis 17. März stattfinden. Könnten diese Kämpfe die russischen Wahlen sogar beeinflussen?
Was bedeuten die ukrainischen Angriffe auf Russland für Putin?
Bilder und Videos, die brennende Öl-Raffinerien in Russland und fliehende russische Soldaten zeigen, kann Putin so kurz vor den Wahlen nicht gebrauchen. Das Bild eines sicheren Russlands, das er vor dem Chaos schützt, wird dadurch zerstört. Dass die Angriffe also jetzt stattfinden, ist bestimmt kein Zufall.
Das bestätigt Ulrich Schmid, Russland-Experte an der Universität St. Gallen, gegenüber Blick. Er geht nicht davon aus, dass sie einen grossen Einfluss auf die Wahlen am Wochenende haben werden. Er warnt: «Solche Aktionen können eine kontraproduktive Wirkung haben. Die Angriffe erlauben es der Kreml-Propaganda, in einer perfiden Umkehrung von Ursache und Wirkung darauf hinzuweisen, wie gefährlich die Ukraine für Russland sei und dass ein russischer Sieg umso wichtiger sei.» Und im Narrativ Putins ist ein Sieg gegen die Ukraine nur unter seiner Herrschaft möglich.
Gibt es überhaupt Alternativen zu Putin?
Nicht wirklich. Dass Putin eine weitere Amtszeit gewinnt, gilt als gesichert. Putin ist einer von vier Kandidaten auf dem Wahlzettel, aber keiner der anderen stellt eine realistische Herausforderung dar. Alle seine schärfsten Kritiker wurden entweder ins Exil gezwungen, ins Gefängnis gesteckt oder sind gestorben – wie beispielsweise der bekannte Kremlkritiker Alexej Nawalny (†47), der erst vor wenigen Wochen im Gefängnis starb.
Obwohl das Ergebnis der Wahl schon jetzt feststeht, führt die Regierung einen intensiven Wahlkampf, um Putins Legitimität im In- und Ausland zu stärken. Putin trat in den letzten Wochen verstärkt in den Medien auf, traf sich mit Studierenden, besuchte Fabriken und unternahm sogar einen Flug mit einem Atombomber. Nach internen Dokumenten des Kremls, die kürzlich von der estnischen Nachrichtenwebsite Delfi veröffentlicht wurden, hat die Regierung im Vorfeld der Wahlen rund eine Milliarde Euro für Propaganda ausgegeben.
Wird auch in den besetzten ukrainischen Gebieten gewählt?
Es wirkt zynisch: Die russischen Präsidentschaftswahlen finden genau am 10. Jahrestag der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland statt. Dort – und auch in den besetzten und annektierten ukrainischen Gebieten Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja – wurden die Urnen bereits vor einigen Tagen geöffnet. Und das, obwohl all diese Gebiete international als Teil der Ukraine anerkannt werden.
Ein Einwohner aus Saporischschja beschwerte sich gegenüber der britischen BBC über prorussische Kollaborateure, die mit Wahlurnen von Haus zu Haus gingen und in Begleitung bewaffneter Soldaten nach Wählern suchten. «Liebe Wähler, wir sorgen uns um Ihre Sicherheit! Sie müssen nirgendwo hingehen, um zu wählen – wir werden mit Stimmzetteln und Wahlurnen zu Ihnen nach Hause kommen», erklärte die von Russland eingesetzte Wahlkommission in der Region Saporischschja in den sozialen Medien.
Der ukrainische Gouverneur von Saporischschja, Iwan Fjodorow (35), sagte zu BBC, dass die Einwohner seiner teilweise besetzten Region eingeschüchtert werden, damit sie wählen gehen: «Unsere Bürger haben grosse Angst. Wenn Russen mit Soldaten in ihre Wohnung kommen und sie fragen, ob sie für Putin stimmen wollen, werden natürlich alle Ja sagen. Denn jeder will sein Leben retten. Aber das heisst nicht, dass unsere Bürger Putin unterstützen wollen.»
Wie wehren sich die Menschen in Russland gegen Putin?
Für die Wahlen in Russland ist die Protestaktion «High Noon gegen Putin» geplant, wie Experte Schmid weiss. Dabei werden alle oppositionell gesinnten Russinnen und Russen dazu aufgerufen, ihre Stimme gegen Putin erst am letzten Wahltag, also am Sonntag, um 12 Uhr Mittags abzugeben.
«Die dadurch entstehenden Schlangen sollen eine Demonstration gegen Putin darstellen und den Oppositionellen vor Augen führen, dass sie nicht allein sind. Allerdings ist ungewiss, ob diese Aktion ein Erfolg sein wird», so Schmid. Noch vor seinem Tod hat sich auch Nawalny für die Durchführung dieser Aktion ausgesprochen.