Keine 40 Kilo bringt er auf die Waage. Der Geist ist umnachtet, er erkennt seine eigene Frau nicht mehr. Als der einst so mächtige Pate den letzten Atemzug tut, ist Raffaele Cutolo (†79) nur noch ein Schatten seiner selbst. Das berichtet sein Anwalt in italienischen Medien.
Es ist einer weniger in der blutrünstigen Geschichte der organisierten Kriminalität Italiens. Nach Mafia-Legenden Totò Riina (1930–2017) und Bernardo Provenzano (1933–2016), beide Massenmörder der sizilianischen Cosa Nostra, ist am Mittwoch ein weiterer Boss der Bosse in lebenslanger Haft gestorben.
Pate stirbt an den Folgen einer Lungenentzündung
Cutolo war der Gründer der «Nuova Camorra Organizzata» (Neue organisierte Camorra). Er führte jahrzehntelang die neapolitanische Mafia aus seiner Zelle heraus. Nun erlag der Pate im Gefängnisspital von Parma einem septischen Schock, Folge einer beidseitigen Lungenentzündung.
Über 200 Morde soll Raffaele Cutolo in Auftrag gegeben haben. Dafür bekam er viermal lebenslänglich. Auch eigenhändig hat er getötet. Das erste Mal mit 22 Jahren. Da erschlug er einen jungen Mann, der mit seiner Schwester geflirtet hatte. Anfang der 70er-Jahre gründete er im Gefängnis die neue Organisation in der Camorra. Der brutale Mafiakrieg, der in den 80er-Jahren folgte, forderte über 1000 Tote.
Schriftsteller Roberto Saviano (41) widmet in seinem Bestseller-Roman «Gomorra» dem Camorra-Paten ein besonders dunkles Kapitel. Darin erschiessen Cutolos Schergen die elfjährige Tochter eines Richters. Eine Tat, die Cutolo stets bestritt.
Raffaele Cutolo half italienischem Geheimdienst
Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte «Der Professor» hinter Gittern. Zweimal flieht er, davon einmal sehr spektakulär mit Hilfe einer Nitroglycerin-Bombe. Doch er wurde wieder verhaftet. Cutolos Macht wuchs über Jahre in der Haft. Seine Camorra diktierte den Kokain-Handel mit, beherrschte den Zigaretten-Schmuggel – und war über alles informiert.
So hat Raffaele Cutolo zweimal den italienischen Geheimdienst bei der Suche nach von den Roten Brigaden entführten Politikern unterstützt. Beim Ministerpräsidenten Aldo Moro (1916–1978) kam die Hilfe zu spät. Der Christdemokrat wurde getötet, die Leiche im Kofferraum eines abgestellten Auto gefunden. Doch bei dessen Parteifreund Ciro Cirillo (1921–2017) gelingt 1981 dank Cutolo die Vermittlung mit der linken Terrorgruppe. Der Politiker kam frei.
Corona-Hausarrest abgelehnt
Dennoch, der Staat blieb hart. Der Boss der Bosse wechselte von Gefängnis zu Gefängnis, landete schliesslich in einem Hochsicherheitstrakt, wo er lange Zeit der einzige Gefangene war.
Als im Frühjahr 2020 die Pandemie tobt, beantragte Raffael Cutolo, wie viele andere inhaftierte Mafiosi auch, den Hausarrest. Er hatte Angst, sich im Knast mit Corona anzustecken. Das Gericht lehnte das Gesuch ab. Grund: «Der Professor» sei noch immer hochgefährlich.