Putins 100'000 Mann rücken weiter vor
Muss Selenski die Bachmut-Rückeroberung sausen lassen?

Der russische Monster-Aufmarsch im Donbass scheint sich fürs Erste auszuzahlen. Bei der Kleinstadt Kreminna rücken Putins Soldaten vor. Selenski muss seine Prioritäten überdenken. Die Rückeroberung von Bachmut ist gefährdet, sagt ETH-Militärexperte Marcel Berni.
Publiziert: 24.07.2023 um 18:21 Uhr
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Aktualisiert: 24.07.2023 um 18:35 Uhr
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Die ukrainischen Truppen bei Kreminna musste mehrere ihrer Stellungen aufgeben.
Foto: keystone-sda.ch
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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Der 515. Tag des Krieges war kein guter für die Ukraine. Russische Raketen haben die älteste Kathedrale in Odessa zerstört und am anderen Ende der Kriegsfront in den Wäldern von Kreminna fast fünf Kilometer gutgemacht.

Während sich die Bewohner der Hafenstadt Odessa wenige Stunden nach der inzwischen siebten Raketen-Nacht in Folge ans Aufräumen machten, lassen sich die russischen Erfolge im nördlichen Donbass weniger einfach wettmachen. Vergangene Woche zogen die Russen in der Gegend rund 100'000 Soldaten zusammen. Einem Teil dieses monströsen Aufmarsches ist es nun gelungen, bei der Kleinstadt Kreminna einen Fluss zu überqueren und auf bislang von Ukrainern kontrollierte Anhöhen vorzustossen.

Ziel des Vorstosses dürfte die Rückeroberung der einst von Russland besetzten und im Herbst von der Ukraine wieder befreiten Städte Lyman und Kupjansk sein. Insbesondere Lyman wurde nach seiner Befreiung im Oktober zum Sinnbild für den russischen Terror. In der Stadt fand man mehrere Massengräber mit exekutierten Zivilisten und zahlreichen Folterkammern.

Operation Rückeroberung Bachmut akut gefährdet

Die Lage ist ernst, sagt der ETH-Militärexperte Marcel Berni (35) zu Blick. «Im Notfall müssten die Ukrainer wohl Truppen aus dem rund 50 Kilometer südlich gelegenen Bachmut abziehen, um einen russischen Durchbruch zu verhindern oder zurückzuschlagen.»

Das wiederum hätte Auswirkungen auf die ukrainischen Fortschritte bei der Rückeroberung der im Mai von Wagner-Truppen besetzten Stadt. Präsident Wolodimir Selenski (45) hatte deren Befreiung kürzlich als moralische Pflicht bezeichnet. Nördlich und südlich der Stadt sind den Ukrainern über die vergangenen Wochen entscheidende Vorstösse gelungen. Schickt Selenski seine Männer jetzt nach Norden, dürfte der Traum vom befreiten Bachmut wieder in weite Ferne rücken.

Für Aufsehen sorgte am Sonntag der Auftritt von Alexander Lukaschenko (68). Der belarussische Machthaber schaute bei seinem russischen Kollegen Wladimir Putin (70) in St. Petersburg vorbei und beklagte sich da über die Wagner-Truppen, die seit kurzem in seinem Land zu Gast sind. Die wollten «nach Westen gehen» und «einen Ausflug nach Polen machen», sagte Lukaschenko. Schliesslich wüssten sie, woher die Waffen kämen, mit denen die Ukrainer gegen sie im Donbass gekämpft hätten.

Wagner-Truppen keine Gefahr für Nato

«Eine leere Drohung» sei das, glaubt Militärexperte Marcel Berni. «Weder Lukaschenko noch die Wagner-Truppe ist bereit, polnisches Gebiet und damit ein Nato-Land anzugreifen.» Lukaschenkos Aussage sei wohl eher ein deplatzierter Witz gewesen, um sich bei Putin beliebt zu machen. «Derzeit hat die Wagner-Truppe in Belarus nicht die nötigen mechanisierten Mittel, um eine Offensive gegen Polen vom Zaun zu brechen.»

Mehrere Tausend Wagner-Kämpfer sollen sich inzwischen in Belarus aufhalten und gemeinsam mit der belarussischen Armee Trainingseinheiten absolvieren. Neue Satellitenbilder eines belarussischen Wagner-Lagers zeigen zahlreiche Transportfahrzeuge, allerdings keine schweren Geschütze.

In Moskau sorgen die Wagner-Brüder wohl aber nach wie vor für angespannte Stimmung. Ihr Chef Jewgeni Prigoschin (62) bleibt ein unberechenbarer Akteur in Putins Reihen. Und das belarussische Hauptlager seiner Söldner liegt gerade mal rund 730 Kilometer von der russischen Hauptstadt entfernt: deutlich näher, als es die Donbass-Stellungen der Söldnertruppe aus Moskaus Sicht je waren.

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