Seit über zwei Monaten herrscht in der Ukraine Krieg. Die russischen Streitkräfte stossen auf wesentlich mehr Widerstand als ursprünglich vermutet.
Im Kreml wird man immer nervöser. Wladimir Putin (69) drohte bereits kurz nach Kriegsausbruch zum ersten Mal mit Atomwaffen. Sollte sich der Westen in den Ukraine-Krieg mitmischen, müsste er mit harten Konsequenzen rechnen, lautet die Devise.
Das Ganze hat Kalkül, wie der «Spiegel» in einem Artikel aufzeigt. Denn nebst Putin haben auch der ehemalige russische Präsident Dimitri Medwedew (56) und Aussenminister Sergej Lawrow (72) die Gefahr eines Atomkrieges heraufbeschwört.
«Die Gefahr ist real, wir dürfen sie nicht unterschätzen»
«Ich möchte diese Risiken nicht künstlich erhöhen. Viele würden das gerne tun. Die Gefahr ist ernst, real. Und wir dürfen sie nicht unterschätzen», sagte Lawrow diese Woche im russischen Staatsfernsehen.
Russland ist der Ansicht, dass man die Risiken eines Atomkrieges auf ein Minimum reduzieren sollte und dass jeder bewaffnete Konflikt zwischen den Atommächten verhindert werden muss, zitiert die Nachrichtenagentur «TASS» einen Beamten des Aussenministeriums.
Obwohl man also auch in Russland der Meinung ist, dass ein Atomkrieg für alle Seiten verheerend wäre, hat Putin dennoch das mächtige russische Atomwaffenarsenal in Bereitschaft gesetzt. Könnte der russische Präsident also tatsächlich beschliessen, auf den berühmt-berüchtigten roten Knopf zu drücken?
«Die gute Nachricht ist, dass die meisten Sicherheitsforscher davon ausgehen, dass das nicht so leicht möglich ist», sagt Jörg Römer (48) vom «Spiegel»-Wissenschaftsressort.
Putin braucht drei Koffer, um einen Angriff mit Atomwaffen zu starten
Denn einen roten Knopf gibt es gar nicht. Weder in Russland, noch in den USA. Putin kann also nicht einfach innert weniger Sekunden entscheiden, ob er ein nukleares Inferno entfachen will. «Der Grund liegt einfach darin, dass Russland wie die USA auch mit Atomkoffern arbeitet.»
Auf Fernsehaufnahmen sehe man, wie Putin oder jemand in seiner Nähe diesen Koffer trage, so Römer. Der russische Präsident sei aber wahrscheinlich nicht der Einzige, der einen solchen Koffer, der in Russland «Cheget» genannt wird, mit sich trage.
Römer: «Nach allem, was man weiss, gibt es drei dieser Koffer. Einen hat Putin, einen weiteren Verteidigungsminister Sergej Schoigu (66), und den dritten Koffer hat Generalstabschef Walerij Gerassimow (66).» Um einen Abschuss von Atomwaffen zu starten, braucht es demnach alle drei Koffer.
Informationen über Atomwaffen werden wie ein Schatz gehütet
Auch wenn zurzeit viel über die russischen Atomwaffen gemutmasst wird, ist kaum etwas darüber bekannt. Aus gutem Grund: Atommächte auf der ganzen Welt halten Informationen über ihr Waffenarsenal unter Verschluss. Bekannt ist lediglich, dass Russland das grösste Arsenal an strategischen und taktischen Nuklearwaffen besitzt.
Auch wenn das durchaus Grund zur Sorge gibt, sei Panikmache fehl am Platz. «Wenn man es nüchtern betrachtet, sprechen die allermeisten Argumente gegen den Einsatz einer Atomwaffe», so Römer.
Denn seit dem Zweiten Weltkrieg habe es trotz diverser Eskalationen und Kriege nie einen Atomschlag gegeben. Selbst in der angespanntesten Zeit des Kalten Krieges fiel nie eine Bombe. «Das spricht dafür, dass wir halbwegs ruhig schlafen sollten.» (ced)