Neue Wendung im Brexit-Drama. Premierminister Boris Johnson (55) hat direkt nach der Sommerpause seine Mehrheit im Parlament verloren. Noch während Johnsons erster Rede in neuer Funktion verliess der konservative Abgeordnete Phillip Lee (48) am Dienstag demonstrativ die Regierungsfraktion. Aus Protest gegen Johnsons Brexit-Politik stand er auf und nahm zwischen den Oppositionsabgeordneten Platz.
Direkt danach folgte die nächste Niederlage für den Premierminister. 328 Abgeordnete stimmten für einen Beschluss, der den Weg für ein Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit ebnet – darunter 21 Abgeordnete der konservativen Regierungsfraktion. Nur 301 waren dagegen.
Johnson kochte, am Mittwochmorgen schmiss er die Tory-Rebellen aus der Fraktion. Und kündigte an: Sollten die Abgeordneten den Gesetzentwurf am Mittwoch absegnen, will er über eine Neuwahl abstimmen lassen. BLICK erklärt, was das bedeutet.
Warum kommt die offene Rebellion im Parlament ausgerechnet jetzt?
Den Brexit-Gegnern und den Gegnern eines harten EU-Ausstiegs (No Deal) läuft die Zeit davon: Johnson hat den Abgeordneten mit Zustimmung der Queen eine mehrwöchige Zwangspause verordnet. Sie beginnt schon nächste Woche und dauert bis zum 14. Oktober.
Wird der No-Deal-Brexit noch heute Mittwoch verhindert?
Der Entwurf soll auf jeden Fall durchs Unterhaus gepeitscht werden. Dort gilt die Mehrheit als knapp. Danach muss das Gesetz allerdings noch durch die zweite Kammer des Parlaments, das House of Lords. Dort wird es wackliger. Das Oberhaus kann Änderungen vorschlagen oder das Gesetz aufschieben.
Warum wird es trotz Johnsons Mehrheitsverlust knapp im Unterhaus?
Manche Labour-Abgeordnete könnten mit der Regierung stimmen – um sicherzustellen, dass der Brexit nicht auf die lange Bank geschoben oder ganz abgesagt wird.
Was passiert, wenn es das Gesetz durchs Unterhaus schafft?
Dann will Premierminister Boris Johnson – der versprochen hat, gegebenenfalls ohne Deal aus der EU auszutreten – noch am Abend über Neuwahlen abstimmen lassen. Für Neuwahlen bräuchte er eine Zweidrittelmehrheit (424 Stimmen).
Provoziert Boris Johnson absichtlich Neuwahlen?
Gut möglich. Neuwahlen sind für die Opposition aktuell gefährlicher als für die regierenden Tories – insbesondere, wenn die Brexit-Partei (die bei den EU-Wahlen im Mai abgeräumt hatte) nicht antritt und die Konservativen so indirekt stützt. Laut der letzten Sonntagsfrage wären die Tories bei einer Neuwahl 84 Sitze im Plus.
Unterstützt Jeremy Corbyn mit seiner Labour-Partei die Neuwahlen?
Johnson bräuchte für eine Zweitdrittelmehrheit dringend Oppositionsstimmen. Corbyn ist Neuwahlen gegenüber nicht abgeneigt – würde aber einen No-Deal-Brexit laut «Guardian» vorher ausschliessen wollen.
Was wollen die No-Deal-Gegner?
Eine Verlängerung der Brexit-Verhandlungen bis zum 31. Januar 2020, wenn bis zum 19. Oktober kein Deal erreicht wird – oder es keine explizite Zustimmung des Parlaments für einen Ausstieg ohne Deal gibt. Der britische Premierminister hat aber versprochen, am 31. Oktober definitiv aus der EU auszusteigen – ob mit Deal oder ohne.
Was sagt die EU?
Frankreich war bereits im Frühjahr gegen eine Verlängerung. Am Mittwochmorgen teilte die EU-Kommission eilig mit, man rechne fest mit dem Ausstieg der Briten bis Ende Oktober.
Warum gibt es kein zweites Brexit-Referendum?
«Europäisches Wunschdenken», nennt Experte Felix Dane von der Konrad-Adenauer-Stiftung in London in einem Interview mit dem «Deutschlandfunk» die Rufe nach einem zweiten Referendum für die Insel. «Die Stimmung ist sehr gereizt im Land.» Die Briten seien gespalten. Entsprechend gibts auch wenig politischen Rückhalt: Bei einer Parlamentsabstimmung am 14. März sprachen sich nur 85 der 650 Abgeordneten für ein zweites Referendum aus.
Was tut die britische Regierung?
Johnson gibt den harten Hund – würde aber auch lieber mit einem Deal aus der EU aussteigen. Um die Brexit-Folgen zu bewältigen, hat die Regierung nach der Niederlage im Parlament am Dienstagabend zusätzliche Ausgaben in Höhe von zwei Milliarden Pfund (2,39 Milliarden Franken) angekündigt.
Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seitdem findet ein langwieriger Prozess der Kompromissfindung zwischen britischer Politik und der EU statt. Am 31. Januar 2020 treten die Briten offiziell aus der EU aus. Behalten Sie den Überblick im Brexit-Chaos mit dem Newsticker von Blick.ch.
Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seitdem findet ein langwieriger Prozess der Kompromissfindung zwischen britischer Politik und der EU statt. Am 31. Januar 2020 treten die Briten offiziell aus der EU aus. Behalten Sie den Überblick im Brexit-Chaos mit dem Newsticker von Blick.ch.