Sie riskierte alles, um im März 2022 gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu protestieren. In einer Live-Sendung hielt die Journalistin Marina Owsjannikowa (44) ein Plakat auf, mit der Aufschrift: «Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen.» Im Westen wurde die mutige Frau dafür gefeiert, dass sie nicht mehr länger schweigt und auf die Politik von Kremlchef Wladimir Putin (70) hinweist. Doch in Russland wurde sie angeklagt und landete im Hausarrest. Kurz vor ihrem Prozess ist sie geflohen. Denn: Ihr drohten bis zu 15 Jahre Haft.
In einem Interview mit dem deutschen «Spiegel» erzählt Owsjannikowa jetzt von ihrer gefährlichen Flucht. Es sei schön, in Freiheit zu leben, aber sie habe dafür viel aushalten müssen. In Russland gelte sie inzwischen als Staatsfeindin. Die Flucht beschreibt Owsjannikowa als anstrengend. «Wir sind in der Nacht geflohen. Da gehen viele Russen auf ihre Datschen, essen Schaschlik und trinken Wodka».
Owsjannikowa ist gemeinsam mit ihrer Tochter und einem Helfer aus Russland geflohen. Ihre Fussfessel habe sie mit einer speziellen Schere durchgeschnitten. Anschliessend seien sie mehrere Stunden kilometerweit durch Wälder und Felder gewandert, bevor sie endlich unter einem Stacheldrahtzaun durch über die Grenze schlüpfen konnten. Wo genau ihre Fluchtroute durchführte, will Owsjannikowa aus Sicherheitsgründen nicht preisgeben. Der Kreml hat erst zwei Tage nach der Flucht eine Fahndung nach der Journalistin eingeleitet. Da war sie aber schon über alle Berge.
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Sohn nennt sie «Verräterin an der Familie»
Manchmal bereue sie schon, was sie getan habe, sagt sie. Es sei für sie aber klar gewesen, dass sie nicht mehr länger Putins Propagandamaschine zusehen und den Kopf in den Sand stecken könne. Sie habe zwar ein bequemes Leben in Russland geführt. Spätestens bei Kriegsausbruch sah sie es aber als ihre Aufgabe an, die Menschen vor der Kreml-Propaganda zu warnen.
Mit ihrem Sohn hat Owsjannikowa keinen Kontakt mehr. Er sehe sie als Verräterin an seiner Familie und glaube seinem Vater, der auf Kreml-treuer Linie sei, erzählt sie. Auch er hat den Kontakt mit seiner Ex-Frau abgebrochen und befindet sich in einem Sorgerechtsstreit mit der Journalistin. Selbst ihre eigene Mutter verstehe sie nicht und nenne ihre Tochter eine «Verbrecherin». So wollte sie in der Fluchtnacht genau wissen, wo sie hingehe und ob sie das überhaupt dürfe.
Owsjannikowa hat Angst vor der Zukunft. Sie möchte versuchen, ihren Lebensunterhalt als Journalistin zu verdienen. Der Preis, den sie für ihre Flucht bezahle, sei hoch. «Ich habe meine Familie, meinen Sohn und meinen ganzen Besitz verloren». Diese ganzen Erlebnisse verarbeitet die Journalistin nun in ihrer Autobiografie. (ene)