Streit zwischen Seehofer und Merkel eskaliert
«Lasse mich nicht entlassen!»

Noch einmal wollen sich die Streithähne der deutschen CSU und CDU gemeinsam an einen Tisch setzen. Doch was, wenn die Verhandlungen abermals scheitern? BLICK beantwortet die wichtigsten Fragen.
Publiziert: 02.07.2018 um 09:33 Uhr
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Aktualisiert: 17.10.2018 um 19:53 Uhr
Fabian Vogt

Die Deutschen haben ein gewaltiges Regierungs-Problem. An einem Asyl-Streit zwischen den Koalitionspartnern CDU und CSU droht nicht nur die 70-jährige Partnerschaft, sondern auch die Regentschaft von Angela Merkel zu zerbrechen. BLICK erklärt, worum es beim Krach geht und welche Szenarien denkbar sind.

Worüber wird gestritten?

Der Zankapfel sind unterschiedliche Auffassungen in Sachen Migrationspolitik. Während Seehofer Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen lassen will, wenn sie bereits in einem anderen EU-Land als asylsuchend registriert sind, hält die Kanzlerin wenig davon. Merkel lehnt nationale Alleingänge ab. Die CSU steht hinter Seehofer, die CDU hält zu Merkel.

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Hatte überraschend seinen Rücktritt angekündigt, dann wieder zurückgezogen: Heute entscheidet sich das politische Schicksal von CSU-Chef und Deutschlands Innenminister Horst Seehofer.
Foto: AP

Dabei kommt dem Wort  «wirkungsgleich» eine entscheidende Rolle zu. Seehofer kündigte vor wenigen Wochen an, seinen Plan umzusetzen, sollte der EU-Gipfel keine wirkungsgleichen Lösungen liefern. Dieser Gipfel fand am Wochenende statt. Merkel nahm anschliessend den Ball auf, sagte «die Ergebnisse seien mehr als wirkungsgleich», was Seehofer völlig anders sieht. Gespräche mit der Kanzlerin seien «wirkungslos» verlaufen.

Was hat Merkel erreicht?

Konkret konnte sich die Kanzlerin mit Spanien und Griechenland auf ein Rücknahmeabkommen einigen. Die Länder sagten zu, Flüchtlinge zurückzunehmen, die bereits bei ihnen registriert worden waren. Einem Schreiben der Kanzlerin an Partei- und Fraktionsvorsitzende von SPD und CSU zufolge soll sie ähnliche Zusagen auch von 14 weiteren Ländern erhalten haben. Ungarn, Tschechien und Polen bestreiten jedoch, einem solchen Abkommen zugestimmt zu haben.

Zudem einigten sich die Regierungsvertreter darauf, dass EU-Staaten freiwillig darüber entscheiden können, Asylzentren aufzubauen. Flüchtlinge, die auf See gerettet werden, sollen in Aufnahmezentren in Nordafrika gebracht werden.

Warum eskaliert die Situation nun?

Die Situation ist schon lange angespannt. Doch Merkel war überzeugt, mit den am Gipfel beschlossenen Massnahmen den Koalitionspartner zufriedengestellt zu haben. Von wegen! In der Sitzung vom Sonntag soll Seehofer die Resultate und Pläne Merkels als «unzureichend» bezeichnet haben, berichteten deutsche Medien. Ausserdem seien die Vorschläge keine Lösung, und führten zu «mehr Migration und nicht weniger». Seehofer ist derart enttäuscht von Merkel (und seiner Partei, weil er nicht die volle Rückendeckung spürt), dass er seinen Rücktritt anbot. Die CSU bat ihn, heute einen letzten Versuch zur Kompromissfindung zu unternehmen (BLICK berichtete).

Merkel hingegen sagte laut Informationen vom «Spiegel»: «Wenn wir trotz der letzten Erfolge in Brüssel jetzt trotzdem zurückweisen, dann muss ich mich auf europäischer Ebene nicht mehr blicken lassen.»

Warum lenkt niemand ein?

Merkel ist seit jeher Verfechterin eines gemeinsamen europäischen Handelns. Sie würde ihre gesamte Politik aufs Spiel setzen, sollte sie sich kompromissbereit zeigen. Bei der CSU ist es komplizierter. Es wird vermutet, dass der bayrische Ministerpräsident Markus Söder Drahtzieher des Ganzen ist. Bayern ist das einzige Bundesland, in dem die CSU zur Wahl antritt. Im Oktober sind dort Landtagswahlen, von einer Mehrheit ist die CSU derzeit weit entfernt. Söder hofft offenbar, dass seine Partei mit harter Integrationspolitik punkten kann, doch bisher verliert er eher noch weiter an Sympathien.

Was steht auf dem Spiel?

Die Zukunft von Deutschland. Wenn CSU und CDU keinen Kompromiss in der Flüchtlingsfrage finden, dürfte das Chaos endgültig ausbrechen. Es ist möglich, dass sich Innenminister Seehofer dann gegen die Kanzlerin stellt. Er könnte etwa die Bundespolizei anweisen, alle Flüchtlinge, die bereits in einem anderen Land Asyl beantragt haben, direkt an der Grenze abzuweisen. Dann bliebe Merkel wohl keine andere Möglichkeit, als Seehofer zu entlassen. Die CSU könnte dann einen Ersatz für Seehofer nominieren, doch nach den Wortmeldungen von Sonntag ist davon auszugehen, dass die Partei stattdessen sämtliche Minister abzieht und aus der 70-jährigen Partnerschaft mit der CDU austritt. Die Koalition wäre am Ende.

Wie könnte ein Kompromiss aussehen?

Seehofer hat am Sonntag drei Szenarien skizziert: Seinen Rücktritt, ein Einlenken in die CDU-Strategie oder die Zurückweisungen an der Grenze gegen den Willen der Kanzlerin anzuordnen. Alle drei Strategien dürften die Probleme noch grösser machen. Friedensstiftend wäre möglicherweise, wenn Merkel Seehofer die Erlaubnis erteilt, einen nationalen Alleingang zu machen – dieser allerdings vorerst nicht davon Gebrauch macht. Danach kann Merkel andere Staaten um die Erlaubnis bitten, dass Deutschland künftig Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen darf. Egal wie die Staaten entscheiden, Merkel und Seehofer hätten das Gesicht gewahrt und könnten erneut entscheiden, ob sie den Alleingang wagen wollen. Allerdings wäre dieses Vorgehen eine Abkehr von allem, was Merkel bisher zu dem Thema sagte.

Tritt Merkel zurück?

Merkel kann nicht einfach so zurücktreten, das ist verfassungsmässig festgehalten. Sie könnte erst gehen, wenn ihr vom Bundestag das Misstrauen ausgesprochen wird. Dann würde es in Deutschland zu Neuwahlen kommen. Dazu müsste sie allerdings zuerst die Vertrauensfrage stellen. So kam übrigens Angela Merkel an die Macht: Gerhard Schröder (SPD) stellte 2005 die Vertrauensfrage und verlor - wie geplant - zehn Wochen später war Merkel Kanzlerin.

Welche Alternativen zu Neuwahlen gibt es?

Kommt es zum Bruch von CDU und CSU, kann Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Kanzlerin bitten, andere Koalitionsoptionen zu prüfen. Gemeinsam mit der SPD fehlen der CDU derzeit nur zwei Stimmen zur Regierungsmehrheit. Auch andere Koalitionen sind denkbar, derzeit wird vor allem über eine Kenia-Koalition – CDU, SPD und Grüne – spekuliert. Sollten sich die Koalitionspartner auf einen neuen Kanzler einigen, könnte Merkel zurücktreten. 

Gesetzlich wäre auch eine Minderheitsregierung denkbar, dass also die CDU alleine weiterregiert und sich für ihre Gesetzesvorhaben jeweils Zweck-Partnerschaften im Bundestag sucht. Das gab es in der Geschichte Deutschlands schon vier Mal, die Minderheitsregierungen hielten allerdings stets nur wenige Wochen durch.

Theoretisch kann Merkel auch abgewählt werden, das ist aber sehr unwahrscheinlich. Dafür müssten sich die anderen Parteien auf einen Kandidaten einigen können, der mehr Stimmen erhält als Merkel. Dass sich AFD, FDP, Grüne, Linke und CSU finden, ist praktisch ausgeschlossen.

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