Der Alltag in Dänemark macht neidisch. Niemand muss auf Abstand achten, niemand eine Maske tragen. Jeder darf unternehmen, was er will. Restaurants, Kinos oder Events stehen offen für jedermann, als ob es kein Virus mehr gäbe. Das knapp Sechs-Millionen-Volk im Süden Skandinaviens hat die Pandemie sozusagen abgeschafft. Mit erstaunlichen Ergebnissen.
Am 10. September 2021 wagten die Dänen einen mutigen Schritt. Sie erklärten, die Covid-19-Infektion sei keine für die Gesellschaft kritische Krankheit mehr. Alle Corona-Massnahmen wurden mit sofortiger Wirkung aufgehoben. «Die Gesellschaft lebt heute wie vor der Pandemie», beobachtet der Corona-Experte Michael Bang Petersen (41). «Die Menschen kommen sich wieder näher. Nur wenige halten Abstand. Kaum jemand trägt noch eine Maske.» Zwar gebe es Dänen, die Zweifel an der Strategie hätten, aber für die Mehrheit sei Corona Geschichte.
Jetzt wird erheblich weniger getestet
Vier Wochen nach dem gewagten Experiment machen die Zahlen Mut. «Zunächst ging die Zahl der Neuinfektionen sogar zurück. Jetzt haben wir wieder einen leichten Anstieg», sagt der Leiter des sogenannten Hope-Projekts – es untersucht, wie Demokratien mit der Corona-Krise umgehen. Die Zahlen allerdings trügten. Denn, so Petersen, «es wird auch erheblich weniger getestet». Wichtig sei: Die Hospitalisierungen sind stabil. Und es gab innerhalb von 24 Stunden nur einen Todesfall.
Womit hat Dänemark so viel Corona-Freiheit verdient? Für Michael Bang Petersen ist die Antwort klar: «87 Prozent der Bevölkerung ab zwölf Jahren sind einmal geimpft, 75 Prozent vollständig. Bei den über 50-Jährigen sind sogar 95 Prozent vollgeimpft.» Dänemark zählt zu den Musterschülern Europas, was die Impfbereitschaft angeht. Die Gefahr einer erneuten Corona-Welle scheint bei diesem Schutz gebannt.
Aber auch insgesamt kann sich die Corona-Bilanz sehen lassen. Während die Schweiz (mit nur zwei Millionen Einwohnern mehr als Dänemark) 11'125 Menschen an Corona verlor, hat das skandinavische Land lediglich 2665 Todesopfer zu verschmerzen. Während benachbarte Staaten mit Impfskepsis zu kämpfen haben, No-Vax-Anhänger zu Tausenden auf die Strasse gingen, hielt sich der Widerstand in Grenzen.
Regierung, Opposition und Medien zogen an einem Strang
Dänemark habe von Anfang zusammengehalten und ein klares Projekt vorgelegt, meint Michael Bang Petersen. Damit sei das Land so glimpflich durch die Pandemie gekommen. «Die Bevölkerung wurde sofort über alles informiert», erklärt der dänische Corona-Experte, «Regierung, Opposition und Medien ziehen an einem Strang. Die gute Kommunikation sorgt für Vertrauen bei der Bevölkerung.» Dazu habe auch gehört, dass man von vornherein auch mögliche Fehler einräumte. So habe sich jeder Bürger verpflichtet gefühlt, sich und vor allem die Risikogruppen zu schützen.
Michael Bang Petersens Appell an die Schweiz: «Der Staat sollte mehr Transparenz zeigen. Zahlen, Ergebnisse, Strategien müssten offen mit dem Volk geteilt werden. Dann gibt es auch weniger Proteste gegen Corona-Massnahmen.»