Wäre Kristina Lunz Amerikanerin, stünde sie auf Donald Trumps Feindesliste wohl weit oben. Die Expertin für Aussenpolitik ist eine der wichtigsten feministischen Stimmen im deutschsprachigen Raum. Eine manchmal frustrierende Arbeit, wie sie im Gespräch mit SonntagsBlick erzählt: Denn es gehe oft darum, gegen etwas zu kämpfen – statt für etwas.
Frau Lunz, vier Jahre Donald Trump sind bald vorbei. Sind Sie als junge, liberale Frau froh?
Kristina Lunz: Mir ist wirklich eine politische Last von den Schultern gefallen. Was Trump in den letzten vier Jahren gemacht hat, hatte direkte Auswirkungen auf das, woran wir arbeiten. Die Trump-Regierung hat einen grossen Fokus darauf gelegt, internationale Menschenrechtssysteme zu zerstören – insbesondere Frauenrechte.
Zum Beispiel?
Im April 2019 etwa, da war ich selbst Beraterin im Auswärtigen Amt in Berlin. Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen brachte Deutschland eine Resolution zur Prävention von sexualisierter Gewalt in Konflikten als Teil der Agenda zu «Frauen, Frieden und Sicherheit» ein. Die Trump-Regierung drohte Deutschland mit einem Veto, sollte Deutschland nicht die Referenzen zu sexueller und reproduktiver Gesundheit herausnehmen – etwa, dass Frauen, die in Kriegen vergewaltigt werden, Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen bekommen. Die USA haben sich durchgesetzt.
Trump ist immerhin der einzige Präsident seit Jimmy Carter, der keinen neuen Krieg angefangen hat. Ist er aus Ihrer Sicht ein guter Aussenpolitiker?
Auf gar keinen Fall. Das muss man schon ganzheitlicher anschauen. Die internationale Sicherheitslage ist so instabil wie selten zuvor. Die internationalen Anstrengungen zur Abrüstung zurückgefahren. Trump selbst hat die Militärausgaben hochgeschraubt. Und was ist das denn für eine aussenpolitische Perspektive, die Menschenrechtssysteme oder Klimagerechtigkeit nicht prioritär behandelt?
Dafür hat Trump einen Haufen Friedensabkommen im Nahen Osten vorzuweisen. Zum Beispiel zwischen Israel und Saudi-Arabien.
Gut, das ist ein Zeichen, dass er kurzfristig etwas zustande bringt, wenn es ihm als narzisstische Person nützt. Für ihn zählt aber nicht, welche Auswirkungen das langfristig hat. Das Verhältnis zwischen Israel und Palästina hat sich verschlechtert – und er schmeichelt Staatsführern, die ganz klar autoritär sind.
Erwartet wurde, dass viel mehr Frauen für Joe Biden stimmen. Tatsächlich war der «Gender Gap» bei der Präsidentschaftswahl gar nicht so gross. Können Sie sich das erklären?
Bei den weissen Frauen hat wahrscheinlich sogar eine Mehrheit für Trump gestimmt – das ist erschreckend. Trump hat sich innenpolitisch wie aussenpolitisch gegen die Selbstbestimmung von Frauen über ihren eigenen Körper eingesetzt, mindestens 26 Frauen beschuldigen ihn der sexuellen Übergriffe. Ich frage mich schon: Was muss seinen Wählerinnen noch vor den Latz geklatscht werden, damit sie sehen, dass dieser Mann absolut nicht in ihrem Interesse handelt? Gleichzeitig wirken auch da Machtgefälle und unterdrückende Strukturen innerhalb der Haushalte. Eine weisse Frau, die einen weissen, frauenverachtenden Präsidenten wählt, wählt eben vor allem im Interesse ihres weissen Mannes.
Auch Biden ist ein alter, weisser Mann. Ist er der Richtige, um feministische Themen durchzusetzen?
Ja und nein. Die demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez hat das gut gesagt: Eine Stimme für Biden ist erst mal eine, um die Demokratie einen Tag länger am Leben zu halten. Das darf nicht damit gleichgesetzt werden, dass er der Retter der progressiven, liberalen Linken ist. Gleichzeitig hat sich Biden immer wieder für feministische Themen eingesetzt. Als Senator hat er in den Neunzigern den «Violence against Women»-Act sehr stark gepusht. Als Vizepräsident unter Obama hat er sich stark gegen sexuelle Belästigung an Universitäten eingesetzt. Und er hat die stärkste frauenpolitische Agenda, die je ein Präsidentschaftskandidat veröffentlicht hat.
Was macht Bidens Pläne aus?
Er geht wirklich auf alle grossen Forderungen ein, die eine feministische Zivilgesellschaft ausmachen würden. In puncto ökonomische Gerechtigkeit nennt er als Kernbestandteil etwa die faire Verteilung von Care-Arbeit. Und er wird den Zugang zu legalen Schwangerschaftsabbrüchen verteidigen, den die Republikaner aushebeln wollen. Trump führte ja auch ein, dass etwa international keine US-Gelder mehr an Organisationen gehen dürfen, die sich irgendwie mit dem Thema sexuelle und reproduktive Rechte und Schwangerschaftsabbrüche auseinandersetzen. Biden ist vielleicht kein feministischer Traum. Aber er macht seine Tür weit auf für eine feministische Zivilgesellschaft.
Worum geht es Ihnen bei einer feministischen Politik?
Dass wir uns ansehen: Welche Politik wird denn aktuell gemacht? Und wer profitiert davon? In den meisten Fällen ist es so, dass von politischen Entscheidungen manche Gruppen mehr profitieren.
Was erwarten Sie von Biden?
Dass er bereit ist, Brücken zu bauen. Ein grosser Teil dessen, was ihn ausmacht, ist – so wie ich ihn wahrnehme –, dass er fähig ist, mit Kritik umzugehen. Das sieht man auch daran, dass er Kamala Harris als Vizepräsidentin wählte, obwohl sie ihn bei den Vorwahlen ordentlich angegangen hatte.
In den sozialen Netzwerken hatte man fast das Gefühl, Kamala Harris wäre Präsidentin. Warum ist ihre Wahl so bedeutsam?
Sie repräsentiert aufgrund ihrer Herkunft, der Herkunft ihrer Eltern, ihres Geschlechts mehrere politische Minderheiten. Und sie ist eine sehr progressive und feministische Frau, die sich sehr stark antirassistisch engagiert. Das ist angesichts der «Black Lives Matter»-Proteste und der internationalen Angriffe auf Frauenrechte enorm wichtig.
Kamala Harris wurde für ihre «Law and Order»-Politik als Staatsanwältin in Kalifornien auch von der schwarzen Community kritisiert. Kann Sie Ihre Erwartungen überhaupt erfüllen?
Wir Feministinnen stellen sehr radikale Forderungen. Als Organisation fordern wir am liebsten Revolutionen in der Aussenpolitik von Staaten. Und gleichzeitig wissen wir, dass die Staaten nicht alles genau so machen können. In diesem Spannungsfeld muss sich Kamala Harris bewegen.
Sind Frauen die besseren Politiker?
Auf gar keinen Fall mittels Geburt und Geschlecht. Aber: Wir leben weltweit in patriarchalen Gesellschaften, die Frauen von Beginn an klein halten, während Männer mit Privilegien überschüttet werden. Diese Sozialisierung – und nicht die Geschlechtsorgane – trägt wahrscheinlich dazu bei, dass Frauen im Schnitt vielleicht eine etwas andere Politik machen, die mehr Menschen nützt. Das sehen wir ja auch bei Corona. Die Daten zeigen: Länder mit weiblichen Staats- und Regierungschefs kommen besser durch die Krise.
Erzählen Sie das mal den schwer gebeutelten Belgiern!
Es geht um Trends und Aussagen auf höherer Ebene. Belgien ist ein Einzelfall, der nicht reicht, um der Statistik zu widersprechen. Übrigens: Auch Länder wie Kanada, deren Regierungschef sehr feministisch ist, kommen gut durch.
Kristina Lunz (31) gehört zu den wichtigsten feministischen Vordenkerinnen Deutschlands. Als Erste in ihrer Familie und Arbeiterkind aus einem 80-Seelen-Dorf studierte sie Diplomatie, Menschenrechte und Psychologie in Oxford, London und Stanford. Als Mitgründerin des Center for Feminist Foreign Policy berät sie Regierungen weltweit. Aktuell arbeitet sie an ihrem ersten Buch, das 2022 im Ullstein Verlag erscheint.
Kristina Lunz (31) gehört zu den wichtigsten feministischen Vordenkerinnen Deutschlands. Als Erste in ihrer Familie und Arbeiterkind aus einem 80-Seelen-Dorf studierte sie Diplomatie, Menschenrechte und Psychologie in Oxford, London und Stanford. Als Mitgründerin des Center for Feminist Foreign Policy berät sie Regierungen weltweit. Aktuell arbeitet sie an ihrem ersten Buch, das 2022 im Ullstein Verlag erscheint.