Auf einer weiten, saftigen Wiese im Süden Islands warten an diesem Herbstmorgen mehr als ein Dutzend trächtige Stuten darauf, zum letzten Mal in diesem Jahr zur Ader gelassen zu werden. Die Tiere gehören zu einer sogenannten Blutfarm in der Nähe von Selfoss. Die Pferde werden nur gezüchtet, um aus ihrem Blut ein Hormon für die Massentierhaltung zu gewinnen. Tierschützer sind entsetzt.
«Es gibt keine Möglichkeit, der Öffentlichkeit diese Art der Tierhaltung vollständig verständlich zu machen», sagt sogar der Besitzer des Pferdehofs, der anonym bleiben möchte. «Die Öffentlichkeit ist zu sensibel.» Seit vor einem Jahr ein schockierendes Video über die Misshandlung von Pferden in Island im Internet aufgetaucht ist, steht die Branche massiv in der Kritik.
Das Geschäftsmodell besteht darin, das Hormon PMSG (Pregnant mare serum gonadotropin) zu gewinnen, das sich im Blut trächtiger Stuten findet. Es wird weltweit eingesetzt, um die Fruchtbarkeit von Nutztieren wie Kühe und Schweine zu erhöhen. Nach der Niederkunft der Stuten werden die Fohlen auf den Farmen meist geschlachtet.
Für Blutabnahme in Holzboxen getrieben
Das im vergangenen Jahr veröffentlichte Video zeigt, wie Mitarbeiter die Pferde mit Stöcken schlagen und stossen und wie Hunde Pferde beissen. Zudem sind von der Blutabnahme offenbar völlig geschwächte Stuten zu sehen. Einige brechen vor Erschöpfung zusammen, nachdem sie sich gegen das Fesseln gewehrt hatten. Die Aufnahmen lösten sowohl im Ausland als auch in Island eine Welle des Schocks aus.
Auf dem Hof in der Nähe von Selfoss warten die Stuten nach aussen hin ruhig, bis sie in die Holzboxen zur Blutabnahme getrieben werden. Die Beine werden mit Brettern fixiert, ein Halfter hält den Kopf hoch. «Die Pferde können gestresst sein und unruhig werden. Diese Halterungen sind im Wesentlichen dazu da, sie zu schützen und zu verhindern, dass sie sich in der Box verletzen», erklärt ein polnischer Tierarzt, der seinen Namen ebenfalls nicht nennen möchte.
Die Stuten werden lokal betäubt, bevor der Veterinär eine grosse Kanüle in die Halsvene einführt. Bis zu fünf Liter Blut werden jedem Pferd binnen weniger Minuten abgenommen – einmal pro Woche, zwei Monate lang. Das Geschäft ist lukrativ: Bis zu zehn Millionen Kronen (gut 70'000 Euro) verdiene er mit dem Blut pro Jahr, sagt der 56-jährige Farmbesitzer, der auch als Rechtsanwalt arbeitet.
Veterinärbehörde inspizierte alle isländischen Blutfarmen
Die isländische Firma Isteka verarbeitet das Hormon PMSG zu Pulver. Das Biotech-Unternehmen ist der grösste Hersteller in Europa und verarbeitet jährlich etwa 170 Tonnen Blut.
In diesem Jahr werden es wahrscheinlich weniger sein: Nach der Veröffentlichung der Videos gaben einige Züchter auf. «Die Landwirte wurden von dem Video schwer getroffen», sagt Isteka-Geschäftsführer Arnthor Gudlaugsson. Er räumt zwar ein, dass es problematische Fälle gegeben habe, aber das mit einer versteckten Kamera gedrehte Video habe «die Praxis zu negativ dargestellt».
Die Polizei leitete wegen der Aufnahmen Untersuchungen ein, die Veterinärbehörde inspizierte alle isländischen Blutfarmen. Keine musste schliessen, doch die Debatte über die Zuchtbetriebe geht weiter. Viele Isländer haben erst durch die Videos von dem Geschäft mit dem Stutenblut erfahren, obwohl es seit 1979 auf der Insel läuft.
«Das ist schlicht und ergreifend Tierquälerei»
«Ein Medikament für Nutztiere herzustellen, nur um ihre Fruchtbarkeit über das natürliche Mass zu steigern – das ist kein hehrer Zweck», sagt Rosa Lif Darradottir vom neu gegründeten isländischen Tierschutzverband. «Das ist schlicht und ergreifend Tierquälerei», sagt auch die Oppositionsabgeordnete Inga Saeland und fordert ein Verbot der Praxis.
Seit August sind nun erst einmal strengere Vorschriften in Kraft. Sie gelten drei Jahre. Bis dahin will Island grundsätzlich über die Zukunft der Blutfarmen entscheiden. (AFP/jmh)