Die Schweiz will sich am europäischen Luftverteidigungssystem Sky Shield beteiligen. Verteidigungsministerin Viola Amherd (61) hat am Freitag in Bern eine entsprechende Absichtserklärung unterschrieben. Mit dabei: ihre Amtskollegen aus Deutschland und Österreich, Boris Pistorius (63) und Klaudia Tanner (53). Kritiker befürchten ein Ende der helvetischen Neutralität, die SVP redet von einer «Natoisierung» der Schweiz. Die gleiche Debatte findet auch in Österreich statt. Der Gast aus Wien hat sich den Fragen von SonntagsBlick gestellt.
SonntagsBlick: Frau Tanner, Finnland ist Nato-Mitglied geworden, Schweden möchte demnächst beitreten. Warum will Österreich neutral bleiben?
Klaudia Tanner: Die Neutralität ist in unserer Verfassung verankert. Ein Nato-Beitritt würde unserer Verfassung widersprechen. Das sehen auch die Österreicherinnen und Österreicher so, wie Umfragen zeigen.
Klaudia Tanner (53) ist die erste Verteidigungsministerin Österreichs und seit 2020 im Amt. Die Juristin stammt aus Niederösterreich, gehört der ÖVP an, ist verheiratet und hat eine Tochter.
Klaudia Tanner (53) ist die erste Verteidigungsministerin Österreichs und seit 2020 im Amt. Die Juristin stammt aus Niederösterreich, gehört der ÖVP an, ist verheiratet und hat eine Tochter.
Als Mitglied der Europäischen Union hat Österreich eine Beistandspflicht für EU-Staaten. Ist die österreichische Neutralität nicht Augenwischerei?
Nein, überhaupt nicht. Wir sind ein sehr glaubwürdiger und vertrauenswürdiger Partner im Rahmen der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Das sieht man nicht zuletzt an zahlreichen internationalen Friedensmissionen, wo wir einen wichtigen Beitrag leisten – gerade auf dem Westbalkan. Für Österreich sind insgesamt 1000 bis 1200 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Setzen Sie das mal in Relation zu den 5000 deutschen Soldatinnen und Soldaten in Friedensmissionen. Das zeigt: Wir sind alles andere als ein Trittbrettfahrer.
Österreich bezieht noch immer weit mehr als die Hälfte seiner Gasimporte aus Russland.
Wir müssen diese Abhängigkeit reduzieren. Und das ist zu einem sehr guten Anteil auch schon gelungen. Österreich setzt auf grüne Energie und unternimmt gerade im Verteidigungsressort sehr viel. Wir möchten unsere Kasernen autark machen und setzen auf Biomasse sowie Fotovoltaik.
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Wer bekommt mehr Kritik von der Nato zu hören? Sie wegen der österreichischen Neutralität – oder Ihre Kollegin Viola Amherd wegen der Neutralität der Schweiz?
Ich möchte klarstellen, worum es geht: um eine militärische Neutralität, die in der Verfassung verankert ist. Neutralität heisst nicht Gleichgültigkeit. Österreich hat von Anbeginn an klargemacht, wer der Aggressor ist und wie der Bruch des Völkerrechts zustande gekommen ist. Wir leisten einen sehr grossen Einsatz im Rahmen von friedenserhaltenden Missionen – und das macht ja auch die Schweiz.
In Bern haben Sie eine Absichtserklärung unterschrieben: Sie möchten der europäischen Luftverteidigungs-Initiative Sky Shield beitreten. Warum?
Wir sind überzeugt, dass der Raketen-Schutzschirm die richtige Antwort ist, um unseren Luftraum zu schützen. Das ist mit unserer Neutralität vereinbar. Österreich und die Schweiz stellen in einer Zusatzerklärung klar, dass wir unsere Lufthoheit und unsere Souveränität behalten. Auf technischer Ebene wird aber vieles einfacher, etwa bei den Beschaffungen.
Was bringt der Schutzschirm?
Er schützt unsere Bevölkerung.
Sie haben sich kürzlich mit dem österreichischen Bundespräsidenten gezofft. Es ging um Minenräumung in der Ukraine. Sie machten verfassungsrechtliche Bedenken geltend.
Wir haben im Rahmen der OSZE von Anbeginn an unseren Beitrag geleistet. Und wir haben beschlossen, hier die finanzielle Höhe noch einmal anzuheben.
Bald soll Anklage gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz erhoben werden. Sie gehören beide derselben Partei an. Zittert die ÖVP schon?
Ich bin überzeugt, dass die Gerichtsbarkeit die richtigen Entscheidungen treffen wird. Die Frage, die ich mir stelle, lautet: Warum dauern Verfahren so lange?
Viola Amherd ist die erste Verteidigungsministerin der Schweiz, Sie sind die erste in Österreich. Macht das bei Begegnungen einen Unterschied?
Wir sollten endlich vom Thema Mann oder Frau wegkommen. Es geht um eine kompetente Person, die sich für die Landesverteidigung engagiert und an der richtigen Stelle ist. Es war mir ein besonderes Vergnügen, Viola Amherd wiederzusehen. Überhaupt ist es immer ein ganz besonderes Vergnügen mit ihr – was aber nichts mit dem Geschlecht zu tun hat.
Diese Frage würde ich auch einem Mann stellen: Sie trugen in Bern einen Blazer im dezenten Camouflage-Print. Ein Statement?
Überhaupt nicht (lacht). Ich bin modeaffin – das ist eine persönliche Leidenschaft, zu der ich stehe.
Wie gefällt Ihnen die Schweiz?
Ich bin begeistert von der Schweiz – von der Landschaft, von den Menschen.
Sind Sie sauer auf Ihren deutschen Kollegen Boris Pistorius? Wegen seines engen Terminkalenders fand das gemeinsame Treffen nicht am Matterhorn statt, sondern in Bern.
Ich bin auf Boris nicht sauer (lacht). Auch Bern war ein wunderbares Erlebnis. Viola hat uns gestern einen ganz besonderen Empfang bereitet. Ich reise mit sehr positiven Eindrücken ab.