Seit Wochen verlagern sich die Kämpfe im Ukraine-Krieg immer mehr Richtung Osten. Nach dem gescheiterten Blitz-Krieg hatte Kreml-Chef Wladimir Putin (69) seine Strategie geändert.
Doch die russischen Truppen haben auch im Osten Probleme. Zuletzt feierte die ukrainische Armee einige Erfolge, konnte etwa die strategisch wichtige Antonowski-Brücke nahe der von den Russen besetzten Stadt Cherson zerstören.
Ein Grund für das Versagen von Putins Truppen soll die Ausrüstung sein. Die Waffen würden gar nicht richtig funktionieren, wurde spekuliert. Doch von dieser These hält der britische Militärexperte Jack Watling nichts. Für ihn ist klar: Die Waffen funktionieren sehr wohl. Die Russen haben ganz andere Probleme, wie er auf Twitter erklärt.
Jeder bedient nur einen Knopf
Die Soldaten würden nicht wissen, wie sie mit den Waffen umgehen müssen. Der Grund: die schlechte Ausbildung. Besonders jetzt, wo der Nachschub fehlt, werden die Soldaten nach nur fünf Tagen an die Front geschickt.
Das Buk-Raketensystem etwa habe viele Knöpfe, und jeder Knopf habe eine bestimmte Funktion. Jeder Soldat übernehme eine einzige Aufgabe bei der Bedienung des Systems. Das führe dazu, dass viele Soldaten das System als Ganzes gar nicht verstehen würden, schreibt Watling.
Wenn etwas nicht funktioniere wie geplant, müssen die Soldaten vor Ort selbst eine Lösung finden. Die integrierten Computersysteme seien häufig sehr alt und deshalb wenig hilfreich. Wer das gesamte System bedienen wolle, brauche viel Erfahrung. Die Systeme der Nato hingegen seien weniger kompliziert und würden die Soldaten beim Betrieb unterstützen – es brauche deutlich weniger Erfahrung.
Im Ernstfall können sie nicht schnell reagieren
Die komplexe Bedienung stelle die russische Armee vor grosse Probleme. Derzeit werden viele Soldaten kurzfristig für den Einsatz an gewissen Waffen aufgeboten. Deren Grundkenntnisse würden häufig nicht ausreichen, um die Systeme wirklich bedienen zu können.
Daher würden auch viele russische Luftabwehrsysteme von den Ukrainern zerstört. «Es ist nicht so, dass die Buk-Systeme die ukrainischen Raketen nicht erkennen würden», sagt Watling. «Viel eher fehlen den russischen Soldaten die Kenntnisse, um ein System im Ernstfall schnell bedienen zu können.»
«Jede Waffe einzeln betrachtet, funktioniert problemlos»
Hinzukommt, dass die Ausrüstung total veraltet ist. Bei den Mi-24-Helikoptern, die noch aus der Sowjetunion stammen, seien etwa vor einigen Jahren Risse in den Schrauben bei den Rotoren festgestellt worden. Laut Watling seien solche Risse «normal» für die Russen. Die Helikopter hätten extra viele Schrauben – falls eine bricht, hält so eine zweite Schraube das Rotorblatt immer noch an der Maschine.
Solche Flickwerke gibt es laut dem Experten bei vielen russischen Waffen. Deswegen könnten diese auch kaum hochgerüstet werden, wenn neue Technologien entwickelt würden.
Für die neuere Version des Mi-24 etwa haben die Russen neue Panzerraketen entwickelt, die mit Hilfe von präzisen Sensoren bedient werden können. Doch der Helikopter vibriere im Flug sehr stark, was ein präzises Zielen mit Sensoren verunmögliche. Deshalb müssten die Soldaten auf einfache Ferngläser zurückgreifen. Das Ergebnis sei eine sehr unpräzise Waffenführung, so der Experte. «Jede Waffe einzeln betrachtet, funktioniert problemlos. Wenn man aber anfängt, die Systeme zusammenzusetzen, gibt es massive Probleme.»
«Scheinbar willkürlich getroffene Ziele»
Auch seien die Landkarten der Russen häufig veraltet. Bei Kämpfen rund um das Atomkraftwerk Tschernobyl etwa seien 40 Jahre alte Karten verwendet worden. «Einige der scheinbar willkürlich getroffenen Ziele ergeben beim Betrachten der völlig veralteten Karte durchaus Sinn», sagt Watling.
Unter dem Strich würden die russischen Waffen also durchaus funktionieren, sagt Militärexperte Watling. «Problematisch wird es dann, wenn sie miteinander verknüpft funktionieren und von nicht genügend ausgebildeten Soldaten bedient werden sollen. Dann hinken die russischen Systeme deutlich hinterher.» (zis)