Frankreich kommt nicht zur Ruhe. Unter dem Druck der wochenlangen Gelbwesten-Proteste hatte Präsident Emmanuel Macron (40) der Bevölkerung grosszügige Steuergeschenke versprochen, die den Staatshaushalt empfindlich belasten – und zum Zoff mit der EU führen könnten.
Am Dienstagabend versammelte der französische Präsident seine Parteifreunde im Élysée-Palast. Ein Abend zum «Zusammenschweissen» und zur «Mobilisierung», hiess es aus Regierungskreisen. Doch keine Stunde nach Beginn musste Macron seine Gäste laut «Le Monde» bereits sitzen lassen: Die Nachricht vom ersten Toten der Schiesserei in Strassburg war nach Paris gedrungen.
Der fünfte Terroranschlag in Macrons Amtszeit?
Macron setzte umgehend seinen Innenminister Christophe Castaner (52) auf den Vorfall an. Um Mitternacht nahm er selbst an einem Treffen des nationalen Krisenzentrums teil. Auch Ministerpräsident Edouard Philippe (48), Verteidigungsministerin Florence Parly (55) und weitere Notablen standen parat. Gestern riefen die Behörden die höchste Sicherheitswarnung für das Land aus. Das zeigt den Ernst der Lage.
Noch sind nicht alle Details geklärt – doch wenn sich bewahrheitet, dass der als islamistischer Gefährder eingestufte mutmassliche Täter aus religiösen Motiven schoss, wäre es der fünfte Terroranschlag auf französischem Boden seit Beginn der Amtszeit von Macron. Seit 2015 musste das Land 22 Attacken mit islamistischem Hintergrund verkraften. 250 Menschen kamen dabei ums Leben. Der Angriff auf «Charlie Hebdo» und die Attentate im Club Bataclan und in Nizza waren nur die Spitze des Eisbergs.
Muslime und Nicht-Muslime sind tief gespalten
Frankreichs Präsident hat nach dem Anschlag in Strassburg an die Schrecken des Terrors in seinem Land erinnert. «Die terroristische Bedrohung ist immer noch im Herzen des Lebens unserer Nation», zitierte Regierungssprecher Benjamin Griveaux den Präsidenten am Mittwoch in Paris nach der Kabinettssitzung unter Macrons Vorsitz.
Die Gedanken seien bei den Opfern, ihren Familien und Angehörigen, sagte Griveaux. Zudem denke man an die Strassburger. Sie sollten wissen, dass die Franzosen und die Regierungsmitglieder jetzt bei ihnen seien.
Doch ein tiefer Riss geht durch Frankreich. Er verläuft zwischen den Gelbwesten und der Elite des Landes. Und zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen.
Noch immer sind Soziologen dabei, die Gelbwesten-Bewegung richtig zu erfassen. Bei den schätzungsweise sieben Prozent Muslimen in Frankreich, aus deren Reihen auch die meisten Attentäter stammen, ist die Forschung schon weiter: Muslimische Immigranten sind in Frankreich schlechter gebildet, fühlen sich diskriminiert, und der blutige Algerienkrieg hat sich tief ins Gedächtnis gebrannt. Vor allem junge Muslime flüchten sich darum in die Religion – und radikalisieren sich unter dem Einfluss von Fundamentalisten. Ihre Wut und ihren Hass richten sie dann gegen die Werte einer Gesellschaft, die sie kennen, in der sie teilweise gross wurden. Dass auf der Gefährderliste der französischen Behörden noch 10’000 etwa durch salafistische Moscheen stark radikalisierte Personen stehen, ist ein Alarmsignal.