Neunjährige im Rio Grande ertrunken, 15'000 Kinder in Haft
Wie Kamala Harris die Grenz-Krise lösen will

Wieder beschäftigt ein Migrationsschub die USA. Die Situation an der Grenze zu Mexiko ist schlimm. Die US-Regierung kämpft mit Altlasten – doch die Vizepräsidentin hat grosse Pläne.
Publiziert: 28.03.2021 um 09:41 Uhr
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Aktualisiert: 01.04.2021 um 11:54 Uhr
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US-Präsident Joe Biden hat seine Vize mit der Lösung der Grenzkrise beauftragt.
Foto: keystone-sda.ch
Fabienne Kinzelmann

Der Rio Grande ist ein langer und reissender Strom, von El Paso in Texas trennt der Fluss die USA und Mexiko über 2000 Kilometer bis zum Golf von Mexiko.

Für viele Menschen aus Süd- und Mittelamerika ist die Überquerung ein Hoffnungsfunken. Für eine Neunjährige war sie das Todesurteil: Das geflüchtete Mädchen ertrank in der Nähe von Eagle Pass (Texas).

Nach Angaben von US-Behörden war es der erste Todesfall eines Kindes beim neusten Migrationsschub. Die Tragödie wirft ein Schlaglicht auf die zunehmende Krise an der Grenze.

Mehr Migrantinnen und Migranten als jetzt kamen zuletzt im Frühjahr 2019. Und noch nie so viele unbegleitete Minderjährige – im Februar waren es nach Angaben der Grenzbehörden 61 Prozent mehr als im Januar. Alleinreisende Kinder und Jugendliche sind die Einzigen, die die US-Regierung überhaupt über die Grenze lässt, Erwachsene und Familien müssen in Mexiko auf die Bearbeitung ihres Asylgesuchs warten.

Harris: «Es wird keine leichte Arbeit sein»

Laut US-Medien befinden sich aktuell mehr als 15'000 Kinder in Grenzhaft – rund ein Drittel davon länger als die erlaubten 72 Stunden. Erste Bilder aus provisorischen Massenlagern in Donna (Texas) zeigen überfüllte Zelte. Die Minderjährigen kauern auf dünnen Matratzen unter Foliendecken. Das sei «kein Platz für ein Kind», gab auch Bidens Heimatminister Alejandro Mayorkas (61) zu.

Lösen soll das Problem nun Kamala Harris – und zwar langfristig. «Der Präsident hat mich gebeten, unsere diplomatische Arbeit mit Mexiko, El Salvador, Guatemala und Honduras zu leiten», teilte die Vizepräsidentin am Mittwoch mit.

Harris will die Hauptursachen für Migration angehen und die Beziehungen zu den Heimatländern der Geflohenen verbessern. Zudem soll sie den Plan der US-Regierung überwachen, vier Milliarden US-Dollar in die Volkswirtschaften von Honduras, El Salvador und Guatemala zu investieren. «Es wird keine leichte Arbeit sein – aber sie ist notwendig.»

Corona hat die Flüchtlingskrise verschärft

Ursachenbekämpfung also. Ausgerechnet der erste Topjob für die Vizepräsidentin ist eine Herkulesaufgabe. Seit Jahrzehnten steigt die Zahl der Migrantinnen und Migranten an der Grenze alle zwei, drei Jahre an. Donald Trump (74) setzte in den vergangenen vier Jahren auf Abschreckung, trennte Familien an der Grenze und liess Kinder in Käfige sperren. Die Zahl der Schutzsuchenden hat das nicht gesenkt.

Doch mit den Folgen kämpft die neue US-Regierung auch zwei Monate nach Amtsantritt. Die Abschreckungspolitik ist beendet, das in der Corona-Krise kurzzeitig ausgesetzte Asylrecht wieder in Kraft. Doch die Infrastruktur an der Grenze ist nach der Trump-Ära am Boden. Und das in einer Zeit, in der es so viele Push-Faktoren wie nie gibt, welche Menschen aus Lateinamerika zum Aufbruch bewegen: Gewalt, Armut, Bandenkriminalität, Wirbelstürme – und Corona.

«Die Pandemie hat alles noch mal schlimmer gemacht. Nach einem Jahr Corona sind die Schwierigkeiten und Herausforderungen in ihren Heimatländern für viele Menschen lebensbedrohend», sagt Marcela Salazar Posada von Terre des hommes in Bogotá (Kolumbien) zu SonntagsBlick.

Harris will die Fluchtursachen bekämpfen

Eine Verbesserung ist nicht in Sicht. Während die USA bald in Impfstoffen schwimmen, läuft die Verteilung in Entwicklungsländern nur schleppend an – was auch die wirtschaftliche Erholung verzögern dürfte. Zudem hat die Corona-Krise autoritäre Tendenzen in lateinamerikanischen Ländern gestärkt.

Kamala Harris muss also nun a) das Grenzmanagement auf Vordermann bringen und b) die Push-Faktoren reduzieren.

Dass Biden die Grenzkrise seiner Vize überlässt, hat gute Gründe. Obwohl sie bereits in anderthalb Jahren bei den Halbzeitwahlen ihre dünne Kongressmehrheit verteidigen müssen und schnelle Erfolge bräuchten, wollen die Demokraten das Problem diesmal ganzheitlicher angehen.

Das Problem bleibt ihr vermutlich erhalten

Wie politisch aufgeladen das Thema ist, zeigt sich auch daran, dass sich demokratische und republikanische Politiker an der Grenze aktuell praktisch die Klinke in die Hand geben.

Kamala Harris schreckt nicht vor der Herausforderung zurück, Ursachen statt Symptome anzugehen. Beim linken Flügel ist ihre Glaubwürdigkeit hoch – immer wieder hatte sie Donald Trump für seine Flüchtlingspolitik harsch attackiert.

Und nicht zuletzt wird ihr das Problem erhalten bleiben. Biden hatte bei seiner ersten Pressekonferenz am Donnerstag zwar behauptet, sich einer Wiederwahl stellen zu wollen – doch das gilt angesichts seines Alters als unwahrscheinlich. Erwartet wird, dass Kamala Harris bei der Präsidentschaftswahl 2024 kandidiert.

In dieser Woche will Harris an die Grenze reisen. Es könnte der erste Besuch von sehr vielen werden.

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