Neuer Briten-Schatzkanzler macht alle Steuersenkungen rückgängig
Hunt ist Truss' Retter – oder ihr Sargnagel

Wegen Kritik an ihrer Amtsführung hat die britische Premierministerin den Schatzkanzler entlassen. Doch ausgerechnet dessen Nachfolger wird jetzt als Anwärter auf ihren Posten gehandelt. Und er ist nicht der Einzige.
Publiziert: 18.10.2022 um 00:10 Uhr
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Aktualisiert: 18.10.2022 um 14:12 Uhr
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Die britische Premierministerin Liz Truss steht in der Kritik. Und zunehmend unter Druck. Vor allem ihr wirtschaftlicher Kurs, in den Medien «Trussonomics» genannt, stösst auf Unverständnis.
Foto: IMAGO/ZUMA Wire
Tanja von Arx

«Die Autorität von Liz Truss ist schwer angekratzt», sagt Politexperte Gerhard Dannemann (63). Nach nur sechs Wochen im Amt steht die britische Premierministerin (47) vor den Scherben ihres Schaffens. Das «Mini Budget» mit schuldenfinanzierten Steuersenkungen für Superreiche und Unternehmen, das der konservativen Politikerin zum Wahlsieg verhalf, hat in Grossbritannien zur Finanzkrise geführt. «Die meisten bezweifeln, dass sie zum Jahresende noch Premierministerin ist», so Dannemann.

Erst am Freitag sah sich Truss gezwungen, ihren engsten Vertrauten, Schatzkanzler Kwasi Kwarteng (47), per sofort zu entlassen. Ein klassisches Bauernopfer sind sich Politik und Medien einig. Denn insbesondere die letzten Tage waren geprägt von Verwirrung und Verständnislosigkeit.

Eine Peinlichkeit folgt der nächsten

So musste die Zentralbank notfallmässig intervenieren, weil Panik auf den Finanzmärkten ausbrach. Den Pensionskassen drohte die Pleite. Und die Regierung behauptete, dass die milliardenschweren Massnahmen fortgeführt würden, was die Bank dementierte. Als Kwarteng zudem gefragt wurde, ob er im Amt bleibe, bejahte er. Wenige Stunden später war er Geschichte. Ausserdem sagte Truss an einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz, dass sie an ihrer Mission eines Niedrigsteuerlandes festhalten wolle – und «nur den Weg zum Ziel ändern» müsse.

Die «Sunday Times» spricht jetzt vom «Todeskult» der konservativen Partei und der «Economist» titelt, Truss habe ihre Autorität gänzlich verloren. Ihr wirtschaftlicher Kurs, die «Trussonomics», seien tot. Sogar US-Präsident Joe Biden (79) scheint einzustimmen. Er sagte am Samstag, dass er «nicht einverstanden» gewesen sei mit dem Ansatz, in Zeiten wie diesen solche Steuererleichterungen auf den Weg zu bringen.

Truss' Partei denkt nun schon über deren Sturz nach. Laut dem «Observer» planen einige Abgeordnete ein Treffen. Manche in der Partei sagen, Truss habe zwar das Amt inne, aber nicht die Kontrolle. Andere wünschen sogar, dass sie ihren Posten in wenigen Tagen räumt.

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Der Mächtigste ist ein anderer

Als mächtigster Mann gilt mittlerweile Jeremy Hunt (55), Kwartengs Nachfolger. Hunt betonte am Sonntag gegenüber BBC, dass Truss weiterhin das Sagen habe. Dass er das aber tun muss, zeigt, dass dem nicht wirklich so ist. Dabei räumte er «Fehler» der Truss-Regierung ein. «Wir sind zu schnell zu weit gegangen.» Hunt machte gestern so gut wie alle zuvor angekündigten Steuererleichterungen rückgängig. Damit reisst er genau die Politik ein, die Truss den Wahlsieg bescherte.

Hunt versuchte selbst, Parteichef und Premierminister zu werden. Allerdings sagt Politexperte Dannemann: «Ich würde ihn unter ‹ferner liefen› sehen.» Er hätte keine ernstzunehmende Chance gehabt. Laut Dannemann hätten am ehesten die früheren Premier-Kandidaten Rishi Sunak (42) und Penny Mordaunt (49) gute Aussichten. «Aber auch Verteidigungsminister Ben Wallace (52).» Ihm habe man anfangs die besten Chancen beigemessen, um Nachfolger von Boris Johnson zu werden, aber er habe aus privaten Gründen abgelehnt. «Das könnte jetzt anders aussehen.»

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