Die neusten Meldungen über Hai-Attaken versetzen viele in Angst und Schrecken, im Sommer 2022 gab es an vielen beliebten Stränden sogar tödliche Hai-Angriffe. So starben an einem Wochenende im Juli in der ägyptischen Touristen-Hochburg Hurghada am Roten Meer zwei Frauen. An einem Strand im US-Bundesstaat Alabama herrscht gerade auch Hai-Alarm. Videos zeigen, wie sich ein Hammerhai ins flache Wasser verirrt – direkt vor eine Gruppe Badenden.
Kann man in den Ferien noch beruhigt baden gehen?
Einer, der Hai-Vorfälle einordnen kann, ist Urs Seleger (64). Der Zürcher veranstaltet weltweit Tauchreisen – auch in Ägypten am Roten Meer. Er kennt also den Ort. Und er kennt die Tiere.
Der Experte stellt klar, dass Hai-Vorfälle immer eine Verkettung von Umständen seien. «Der Ursprung liegt meistens darin, dass der Mensch die Situation falsch einschätzt und falsch reagiert», sagt Seleger zu Blick. «Hai-Unfälle passieren oft so, dass der Hai merkt, dass etwas Unnatürliches an der Wasseroberfläche ist, das seine Neugier weckt. Denn Menschen sind für Haie etwas Unnatürliches.»
Seleger interagierte schon Hunderte Male mit Haien
Deshalb würde der Hai auch hinschwimmen und abklären, was sich da im Wasser befinde. «In 99,9 Prozent der Fälle reicht ihm das – und er zieht weiter», so der Experte. «Ich habe das schon Hunderte Male erlebt, als ich im Wasser am Tauchen war: Es findet eine Interaktion statt.» Der Hai komme, sehe den Menschen, finde ihn nicht wirklich interessant und schwimme ruhig weiter.
Begegne man einem Hai, rät Seleger folgendes: «Wenn man merkt, dass Haie um einen herum sind und Interesse am lebendigen Geschehen zeigen, geht man am besten aus dem Wasser.» Wichtig: Wenn man sich von einem Hai entferne, sollte man dies auf keinen Fall panisch und hastig tun und auch nicht strampeln. Seleger zu Blick: «Man sollte auch keinesfalls mit den Händen ins Wasser schlagen und herumschreien. Denn so erreicht man nur das Gegenteil: Man bleibt interessant für das Tier.» Hingegen soll man sich in aufrechter Position vom Hai entfernen und ihn nicht aus den Augen lassen.
Rotes Meer nicht gefährlich, so der Experte
Ganz selten kommt es dennoch zu einem Hai-Angriff. Im Verhältnis sei das aber wenig. «Man darf nicht vergessen: Weltweit passieren durchschnittlich acht tödliche Hai-Unfälle pro Jahr», sagt der Experte. «Wenn man das in Relation mit den Millionen von Menschen setzt, die sich auf der ganzen Welt im Meer aufhalten, ist das ein verschwindend winziger Anteil.»
Ein Badeverbot für das Rote Meer hält er daher nicht für sinnvoll. Auch nicht für den Touristenort, wo sich die beiden Vorfälle ereignet haben. «Nur weil jetzt diese Unfälle passiert sind, würde ich den Ort deswegen nicht als gefährlich einstufen.» Er ist auch überzeugt, dass die Vorfälle eine minimale bis gar keine Auswirkung auf den Tourismus vor Ort haben. «Und wenn, dann nur eine sehr kurzfristige.»
Aber es gebe Momente, in denen man nicht in solche Buchten gehen sollte: «In der Dämmerung und bei schlechter Sicht. Dann sind die Haie auf Nahrungssuche. Oder wenn die Fischerboote vom Fang zurückkehren und Abfälle ins Wasser werfen.»
Den Tieren ihren Raum lassen
Auch in Flussmündungen sollte man aufpassen, merkt der Experte an: «Denn dort sammeln sich die menschlichen Abfälle – und der Hai hält sich deswegen dort auf. Da nicht ins Wasser zu gehen, hat mit Respekt gegenüber der Natur zu tun.» Man müsse den Tieren ihren Raum lassen. «Denn auch Haie müssen Nahrung aufnehmen – wie wir Menschen auch.»
Doch Seleger betont, dass Haie grundsätzlich sehr vorsichtig und scheu sind. «Deshalb stört es mich auch, dass der Hai in der Gesellschaft als Mörder und Monster dargestellt und wahrgenommen wird.»
Der Hai werde stets kriminalisiert. «Die meisten Menschen finden halt, dass er mit seiner Grösse und seinen Zähnen gefährlich aussieht», sagt der 64-Jährige. «Dabei ist der Hai das oberste Glied in der Meeres-Nahrungskette und spielt eine entscheidende Rolle für das ökologische Gleichgewicht im Meer.»
Für sein eigenes Geschäft und seine Kundschaft, also die Taucher, werden die Vorfälle in Ägypten kaum Auswirkung haben, glaubt Seleger. «Denn meine Kunden können Situationen mit Haien meistens richtig einschätzen und freuen sich, diese wunderschönen Tiere beobachten zu dürfen.»
* Name bekannt