Nach dem Rücktritt des despotischen Präsidenten Evo Morales (60) herrscht in Bolivien in erster Linie Erleichterung. Doch seine Flucht nach Mexiko lässt auch einen alten Fluch wieder aufleben: Es ist der Klassenkampf zwischen den armen Indigenen im Hochland und den Reichen in der Tiefebene. Weil Morales selber einer von ihnen ist, blieben die Indogenen unter seiner Herrschaft einigermassen ruhig.
An mehreren Orten kam es in den vergangenen Tagen zu Ausschreitungen. Seit dem Wochenende mussten wichtige Städte wie La Paz, Sucre und Cochabamba auf dem Luftweg mit Lebensmitteln versorgt werden, weil Kokabauern die Fernstrassen blockierten. Sucre ist die Hauptstadt des südamerikanischen Landes, die Regierung sitzt aber in der wesentlich grösseren Stadt La Paz im Hochland Boliviens.
Ultimatum an Interimspräsidentin
Die rechte Interimsregierung unter Jeanine Áñez (52) beschuldigt die sozialistische Regierung in Kuba und «ihren Vasall» Nicolás Maduro (56) in Venezuela, den Konflikt in Bolivien zu schüren.
Auch Morales goss Öl ins Feuer: Von Mexiko aus forderte er seine Unterstützer dazu auf, Städte zu belagern und die Lieferung von Nahrungsmitteln für die Einwohner zu verhindern. Er übte scharfe Kritik am Vorgehen der Sicherheitskräfte in Bolivien. Er sprach von einem «Völkermord» und rief die internationale Gemeinschaft zum Handeln auf.
Die Kokabauern aus dem Osten des Landes stellten Áñez das Rücktrittsultimatum, nachdem Sicherheitskräfte ihnen am Freitag gewaltsam den Weg nach La Paz versperrt hatten. Dabei waren neun Demonstranten getötet und Dutzende verletzt worden. Nach Angaben der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (IAHCR) starben seit Beginn der Unruhen landesweit 23 Menschen, 715 wurden verletzt.
Morales wird des Wahlbetrugs beschuldigt
Morales war vor einer Woche unter dem Druck von Militär und Polizei zurückgetreten. Nach der Wahl vom 20. Oktober hatte es immer mehr Anzeichen für Wahlbetrug gegeben – allen voran die unerklärte 24-stündige Unterbrechung der Bekanntgabe von Zwischenresultaten, nach der sich der Trend für eine Stichwahl plötzlich umkehrte.
Um eine bislang verfassungswidrige vierte Amtszeit antreten zu können, hatte Morales kurzerhand eine Verfassungsänderung veranlasst.
Boliviens Übergangspräsidentin Jeanine Áñez hat inzwischen ein Gesetz für Neuwahlen vorgelegt. Sie rief den Kongress dazu auf, der Vorlage zuzustimmen. Ihr Ziel sei es, nach den wochenlangen Unruhen einen «nationalen Konsens» herzustellen. (gf)
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