Als Angie Yen am 28. April aufwachte, fühlte es sich an wie ein ganz gewöhnlicher Morgen. Wie sonst auch stand sie auf, hüpfte unter die Dusche und trällerte dort vor sich hin. Dann der Schock: Die Worte aus ihrem Mund klangen anders als gewohnt – anstelle ihres australischen Dialekts plötzlich sehr «irisch».
Gegenüber «news.au» erzählt sie: «Als ich anfing zu singen, sang ich anders und sprach auch Worte in einem komischen Akzent.» Aus Panik habe sie dann einen Freund angerufen, der ebenfalls sprachlos über den Dialekt-Wechsel gewesen sei.
«Du tust nur so!»
Yen war derart beunruhigt über ihren Zustand, dass sie sich am selben Tag noch zum Spital begeben habe. Weil sie jedoch keinerlei Anzeichen einer Krankheit zeigte, sollen die Ärzte sie nach Hause geschickt und ihr Ruhe angeordnet haben. Weil sie sich 10 Tage zuvor die Mandeln entfernen liess, vermuteten die Ärzte, dass vielleicht ihre Stimmbänder beschädigt worden seien. Yens Hals-Nasen-Ohren-Arzt soll ihr geraten haben abzuwarten, ob die Veränderung von allein wieder verschwindet.
Doch die Tage vergingen – und der neue Dialekt verschwand nicht. Yens Familie und Freunde sollen ihr das Ganze zuerst nicht geglaubt haben: «Die meisten von ihnen lachten nur. Meine Freunde haben anfangs gesagt, ‹das ist nicht echt, du tust nur so›.» Irgendwann sollen sie dann begonnen haben, Yen ernstzunehmen: «Nach einer Weile merken sie, dass ich nicht scherze. Es ist unmöglich, zwei oder drei Tage lang einen Akzent zu fälschen, selbst in einer normalen Unterhaltung.»
Hirnschädigung durch die Operation?
Auf ihrem Tiktok-Account teilt die 27-Jährige ihre Geschichte. Ihre mittlerweile über 20'000 Follower versorgt sie täglich mit Updates zu ihrem Sprachverhalten. Doch sie erntet auch Kritik im Netz – einige unterstellen ihr, den Dialekt zu «faken». Yen bestreitet das. Sie vermutet mittlerweile, am seltenen Fremdsprachen-Akzent-Syndrom (FAS) zu leiden.
Sprachtherapeutin Lindsey Nickels von der Macquarie Universität in Sydney erklärt gegenüber «news.au»: «Das FAS entsteht, wenn jemand plötzlich einen als ausländisch empfundenen Akzent entwickelt. Und das, ohne vorher notwendigerweise die Sprache gesprochen oder gehört zu haben.» Man gehe davon aus, dass das FAS meist von Hirnschädigungen wie zum Beispiel einem Schlaganfall ausgehen, erklärt Nickels. Von einer Erkrankung nach einer Mandel-OP habe sie noch nie gehört.
Weitere Untersuchungen
Angie Yen habe immer noch mit ihrem neuen Akzent zu kämpfen. Sie sei aber sehr dankbar für die Unterstützung und Liebe ihrer Familie und Freunde. Trotzdem lasse sie sich weiter untersuchen, um die Ursache zu finden: «Ob in meinem Kopf etwas nicht stimmt, weiss ich nicht. Falls die Ärzte etwas finden sollten, gibt es hoffentlich eine Heilung oder Behandlung für mich.» Nach einer Magnetresonanztomografie und Bluttests werde sie auf Rat ihrer Arztes auch einen Neurologen aufsuchen.
Auch in Thüringen (D) gab es vor einigen Jahren einen ähnlichen Fall. Sabine Kindschuh hatte einen Schlaganfall. Als sie wieder aufwachte, sprach die Frau, die noch nie in der Schweiz war, plötzlich Schweizerdeutsch. Oder zumindest einen Akzent mit vielen «ch»-Lauten, den man in Deutschland für Schweizerdeutsch hält. Der Neurologe diagnostizierte damals das Fremdsprachen-Akzent-Syndrom. Sabine Kindschuh blieb nichts anderes übrig, als ihre neue «Identität» zu akzeptieren. (aua)