Je wortkarger Wladimir Putin (70) sich zum versuchten Militärputsch vom vergangenen Wochenende äussert, desto redseliger wird sein jahrelanger treuer Vertrauter, Alexander Lukaschenko (68). Gleich bei mehreren Gelegenheiten kommentiert der belarussische Präsident das Versagen der russischen Sicherheitskräfte, betont die grosse Gefahr für Russland, die er hat abwenden können, und verrät Details seines wichtigen Deals mit Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin.
Alexander Lukaschenko, der ewige Bittsteller aus Minsk. Der Mann, den der Kreml-Zar vor seinem eigenen Volk beschützen musste, weil es 2020 gegen den geklauten Wahlsieg des Diktators protestierte. Putins «kleiner Bruder». Er wächst in diesen Tagen zur Augenhöhe auf. Er bekommt Lob in Russland. Regierungsnahe Medien haben sogar schon ein Denkmal für Lukaschenko in Moskau vorgeschlagen. Balsam auf die Wunden eines gedemütigten Diktators, dem noch vor einigen Wochen eine schwere Krankheit nachgesagt wurde.
Putin wollte nicht mit Prigoschin verhandeln
Als die Wagner-Truppen ihren Vormarsch begannen, habe er, der belarussische Präsident, sofort eine ganze Brigade zusammengestellt. Er hätte sie, wenn es nötig geworden wäre, nach Russland geschickt, erklärt Alexander Lukaschenko gegenüber dem staatlichen Pressedienst Ria Novosti. Dramatisch fährt er fort: «Ein Zerfall Russlands zerquetscht uns alle unter Trümmern. Wir würden alle sterben, das ist meine Meinung.»
Zweimal habe er am Tag der Revolte mit Wladimir Putin gesprochen. Dieser habe nicht mit Prigoschin verhandeln wollen. Da sei Lukaschenko die Idee zum Deal gekommen, Prigoschin ein Exil in Belarus anzubieten. So zumindest die offizielle Version. So mancher Russland-Kenner jedoch bezweifelt, dass die Initiative von Lukaschenko kam, sondern vermutet eher, Putin habe ihm den Auftrag gegeben.
«Jewgeni, du wirst zerdrückt wie einen Floh»
«Der Zwist zwischen der Wagner-Gruppe und dem russischen Militär ist schlecht gehändelt worden», erklärt Lukaschenko in einer Pressekonferenz mit russischen Medien am Dienstag, «uns ist die Situation entglitten». Mit «uns» meint Lukaschenko wohl sich und den Kreml. Bescheidener fügt er hinzu: «Diese Geschichte hat keine Helden».
Er habe mit Prigoschin Tacheles geredet. «Ich habe ihm gesagt: Jewgeni, du kennst Putin. In dieser Situation wird er nicht einmal mit dir am Telefon sprechen, geschweige dich treffen», erzählt Lukaschenko. Und er habe Prigoschin gewarnt: «Wenn du weiter auf Moskau marschierst, wirst du auf halber Strecke zerdrückt wie ein Floh.» Daraufhin habe der Wagner-Chef eingelenkt.
Resultat der heldenhaften Mediation: Jewgeni Prigoschin und seine Männer bleiben straffrei. Die Wagner-Gruppe wird nicht zerschlagen, wie es das russische Verteidigungsministerium vorhatte. Die Söldner können nach Belarus ziehen. Ihr Anführer ist bereits in Weissrussland gelandet und zum eigenen Schutz in einem Hotelzimmer ohne Fenster untergebracht. Im Süden des Exillandes richten sich nun 8000 Söldner ein. Weitere dürften folgen.
Mehr zum Thema Alexander Lukaschenko
Wagner-Truppen in Belarus, das lässt auch die Nato aufhorchen
«Sie sind erfahrene Kämpfer», sagt Lukaschenko, «sie können meinen Streitkräften noch etwas beibringen.» Doch so glücklich wird der Diktator mit den skrupellosen, gesinnungslosen Kriegern wohl nicht werden. Sie sind ihm auf jeden Fall suspekt. Bereits bei den Wahlen 2020 liess Lukaschenko drei Dutzend von etwa 200 Wagner-Söldner in Minsk verhaften, weil sie sich verdächtig verhielten, militärische Anlagen fotografierten und soffen.
Von ihnen geht auch in Zukunft eine Gefahr aus. Sie könnten einen weiteren Aufstand in Russland von Belarus aus organisieren oder mit Attacken auf Nato-Gebiet Belarus mit in den Krieg ziehen und nicht zuletzt auch das Lukaschenko-Regime gefährden. Dass Belarus mit der Wagner-Gruppe gefährlicher werden könnte, das sehen auch Nato-Partner so.
So forderte Vilnius die Stärkung der Ost-Flanke. «Wenn Prigoschin oder Teile der Wagner-Gruppe mit unklaren Plänen und unklaren Absichten in Belarus landen, müssen wir die Sicherheit unserer östlichen Grenzen weiter verstärken», sagte Litauens Präsident Gitanas Nauseda (59) nach einer Sitzung des nationalen Sicherheitsrats gegenüber Medien. Deutschland schreitet bereits zur Tat, stationiert 4000 seiner Soldaten dauerhaft im baltischen Land, das an Belarus und an der russischen Enklave Kaliningrad grenzt.