Moskau spricht jetzt von «Krieg mit kollektivem Westen»
Putin enthüllt angeblichen Entwurf von 2022-Friedensvertrag mit Kiew

Kreml-Chef Putin behauptet, Kiew habe im März 2022 ein Sicherheitsabkommen mit Moskau unterzeichnet. Dann habe die Ukraine das Papier abrupt verworfen. Neu will Moskau nicht mehr von einer Spezialoperation in der Ukraine sprechen, sondern «Krieg gegen den Westen».
Publiziert: 18.06.2023 um 03:20 Uhr
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Aktualisiert: 18.06.2023 um 15:48 Uhr
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Der russische Kriegspräsident Wladimir Putin am Samstag bei einem Treffen in St. Petersburg mit Staats- und Regierungschefs aus Afrika.
Foto: Getty Images
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Daniel KestenholzRedaktor Nachtdienst

Es ist unklar, ob die Dokumente authentisch sind. Kiew schweigt bisher noch. Laut russischen Medien hat Präsident Wladimir Putin (70) am Samstag in St. Petersburg erstmals den Entwurf eines angeblichen Sicherheitsabkommens mit der Ukraine vorgelegt, das im März 2022 in Istanbul ausgearbeitet worden sei. Putin legte den Vertragsentwurf den Staats- und Regierungschefs mehrerer afrikanischer Länder vor, die zu einem Wirtschaftsgipfel an die russische Ostsee angereist waren.

Putin hob dabei hervor, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (69) die Verhandlungen unterstützt habe. Erdogan habe geholfen, «sowohl vertrauensbildende Massnahmen auszuarbeiten als auch den Text des Abkommens zu verfassen», zitiert die russische Nachrichtenagentur Tass den Kreml-Chef.

«Wir haben mit der ukrainischen Seite nicht besprochen, dass dieser Vertrag als geheim eingestuft werden würde, aber wir haben ihn auch nie vorgelegt oder kommentiert», so Putin zu diesem bislang unbekannten Dokument. Während er den Vertragsentwurf den Delegationen aus Afrika zeigte, sagte Putin, das Papier sei vom Kiewer Chefunterhändler unterschrieben worden: «Er hat seine Unterschrift darauf gesetzt», sagte Putin und zeigte mit dem Finger darauf: «Hier.» Das Dokument, das er in der Live-Übertragung hochhält, ist sehr unleserlich und kaum zu erkennen.

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Datum des «Vertrags» macht stutzig

Putin zufolge trug das Dokument den Titel «Vertrag über die ständige Neutralität und Sicherheitsgarantien für die Ukraine». Der Entwurf sehe vor, dass die Ukraine «permanente Neutralität» in ihrer Verfassung verankern müsse. Russland, die USA, Grossbritannien, China und Frankreich seien als Garanten aufgeführt. Der Telegramkanal «Strana» wies allerdings darauf hin, dass auf der Titelseite deutlich zu lesen ist, dass der Entwurf am 13. April ausgearbeitet wurde – also nach dem Massaker von Butscha. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (45) beschuldigte Russland der Kriegsverbrechen und die Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau wurden unterbrochen.

Ein angeblicher Zusatzentwurf, der von Putin ebenfalls gezeigt wurde, enthalte die russischen und ukrainischen Vorschläge zur Grösse des stehenden Heeres Kiews in Friedenszeiten sowie zu dessen Ausrüstung. Moskau habe vorgeschlagen, die Zahl der Militärangehörigen auf 85'000 und die Zahl der Mitglieder der Nationalgarde auf 15'000 zu beschränken. Kiew hingegen habe bis zu eine Viertelmillion Soldaten haben wollen.

Moskau wollte der Ukraine demnach 342 Panzer, 1029 Panzerfahrzeuge, 96 Mehrfachraketenwerfer, 50 Kampfflugzeuge und 52 «Hilfsflugzeuge» zugestehen. Kiew habe auf 800 Panzer, 2400 gepanzerte Fahrzeuge, 600 Mehrfachraketenwerfer, 74 Kampfflugzeuge und 86 «Hilfsflugzeuge» beharrt.

Doppelzüngiges Spiel Moskaus

Auch Vorschläge zur Begrenzung der ukrainischen Mörser, Panzerabwehrwaffen und Luftabwehrraketensysteme sowie anderer Ausrüstung seien ausgetauscht worden. Die Verhandlungen seien kurz darauf gescheitert, die russische Invasion war bereits im Gange.

Über russische Provokationen, Wort- und Vertragsbrüche, die zum Verhandlungsabbruch beigetragen haben müssen, verlor Putin kein Wort. Moskau macht seit Kriegsbeginn keinerlei Anstalten, ernsthaft an Gesprächen interessiert zu sein. Die Invasionswelle war während der Istanbuler Gespräche bereits angerollt, eine Einwilligung Kiews zum Papier wäre wohl einer Kapitulation gleichgekommen.

Doch scheinheilig beteuerte Putin am Samstag, als Geste des guten Willens «hatten wir unsere Truppen aus Kiew abgezogen, wie wir es versprachen». Kiew aber habe den Vertragsentwurf «auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen». Kein Wort von Putin, dass seine Truppen schon weit vor den Toren Kiews mit dem Einnahmeversuch der ukrainischen Hauptstadt scheiterten.

Moskau spricht neu vom «Krieg gegen kollektiven Westen»

Was der Kreml seit dem Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 eine militärische Spezialoperation bezeichnet, soll neu «Krieg gegen den Westen» genannt werden. Die spezielle Militäroperation sei nun tatsächlich zu einem Krieg mit dem kollektiven Westen geworden, zitierte Tass den Kreml-Sprecher Dmitri Peskow (55) am Samstag.

Das Ziel der Spezialoperation sei erreicht und die Ukraine erfolgreich entmilitarisiert worden. Die jetzigen Waffen der Ukraine würden hauptsächlich aus dem Westen stammen: «Tatsächlich wurde eine spezielle Militäroperation gegen die Ukraine, gegen das Kiewer Regime, gestartet», so Peskow. «Jetzt ist es praktisch ein Krieg zwischen Moskau und dem kollektiven Westen.» Die Ukraine habe «keine Souveränität».

Peskow nannte dies die «Umwandlung der militärischen Spezialoperation in einen tatsächlichen Krieg zwischen der Russischen Föderation und dem kollektiven Westen».

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