Die Szenerie ist düster. Mit dunklen Mänteln, Stahlhelmen und finsterer Miene marschieren Soldaten mit Fackeln in der Hand vor dem Reichstag – unter Trommel- und Trompeten-Klängen. Bei der Zeremonie am Mittwoch handelte es sich um den Grossen Zapfenstreich. Es ist der Höhepunkt der Erinnerung an die gefallenen Männer und Frauen, die in den vergangenen knapp 20 Jahren ihr Leben bei der Afghanistan-Mission liessen.
Doch die Bilder sorgen mächtig für Kritik im Netz. Viele fühlen sich bei dem Fackelzug vor dem Bundestag an Nazi-Deutschland erinnert. «Was soll das militaristische Ritual aus Preussen und NS-Zeit? In dem Krieg starben über 175'000 Menschen – meist Zivilisten», wettert Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele (82) auf Twitter.
Und ist damit nicht allein. «Die Bilder machen Angst. Stahlhelme, Fackeln, auf das Pflaster knallende Stiefel», wird der Zapfenstreich auf Twitter kommentiert.
Zapfenstreich hat lange Tradition
Auf Twitter entspinnt sich ein Shitstorm – auf den das Verteidigungsministerium prompt reagiert. «Debatte ist notwendig und wichtig. Vergleiche mit dem dunkelsten Kapitel Deutschlands enttäuschen uns. Die Bundeswehr ist Parlamentsarmee. Als diese hat sie ihren Platz inmitten der Gesellschaft – bei besonderen Anlässen auch vor dem Reichstagsgebäude», gibt die Behörde zu bedenken.
Denn der Grosse Zapfenstreich hat eine lange Tradition. Das militär-musikalische Zeremoniell stammt aus dem 19. Jahrhundert. Erstmals wurde der Grosse Zapfenstreich, so wie er heute bekannt ist, am 12. Mai 1838 in Berlin aufgeführt – und von dort an nicht mehr verändert. Auch zu Zeiten der Nazis im Dritten Reich wurden auf diese Weise der gefallenen Soldaten gedacht oder hohe Politiker aus ihrem Amt verabschiedet.
Den Wirbel um die Zeremonie können einige auch nicht verstehen. Sie verteidigen den Grossen Zapfenstreich und den dazugehörigen Ablauf. So zum Beispiel Fritz Felgentreu (53). «Der eigentliche Grund für die Empörung über den Grossen Zapfenstreich ist meines Erachtens, dass alles, was mit Militär zu tun hat, grossen Teilen der Öffentlichkeit unangenehm ist. Sie wollen sich damit nicht auseinandersetzen», schreibt der SPD-Politiker.
«Unerträgliche Entgleisung gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten»
Der FDP-Politiker Johannes Vogel (39) findet es unhaltbar, dass vor dem Hintergrund der Afghanistan-Zeremonie plötzlich an die Wehrmacht erinnert wird. Dies sei «eine unerträgliche Entgleisung gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten und unserer Demokratie. Das geht schlicht gar nicht – Punkt.»
Gleichzeitig findet der 39-Jährige es aber gut, dass «viele erst einmal ein mulmiges Gefühl haben, wenn sie polierte Helme und Fackeln vor dem Reichstagsgebäude sehen, sollten wir nicht verurteilen – dass es diese besondere Sensibilität bei uns gibt, spricht doch in Wahrheit sehr für unsere Gesellschaft.»
Die Kritik am Zapfenstreich ist übrigens nicht neu. Ende der 1990er versuchten Politiker die Zeremonie sogar ganz aus der Bundeswehr verschwinden zu lassen. (jmh)