Lehren aus dem «Wir schaffen das»-Chaos erst jetzt gezogen
Die Auswirkungen der verschärften EU-Asylpolitik

Es ist eine Revolution in der EU-Asylpolitik. Neu sollen Migranten schon frühzeitig abgefangen und zurück geschickt werden. Auch die Verteilung wird neu geregelt. Wir erklären die Verschärfung der Asylpolitik.
Publiziert: 20.12.2023 um 15:46 Uhr
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Aktualisiert: 20.12.2023 um 16:02 Uhr
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Von Marokko in die spanische Exklave Ceuta: Migranten auf der Suche nach einem besseren Leben.
Foto: imago images/Agencia EFE
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Guido FelderAusland-Redaktor

Die EU zieht die Asylschraube kräftig an. Mit der Reform des «Gemeinsamen Europäischen Asylsystems» (Geas) will sie nach jahrelangem Streit die Lehren aus den Jahren 2015 und 2016 ziehen. Damals strömten mehr als eine Million Menschen nach Deutschland, die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (69) sagte angesichts des Chaos den viel zitierten Satz «Wir schaffen das».

Unterhändler der Mitgliedstaaten und des EU-Parlaments erzielten am Mittwoch endlich eine Einigung. Bis zur Europawahl im Juni 2024 soll die Reform von allen Instanzen abgesegnet sein. Die Asylpolitik wird sich massiv verändern, Menschenrechtler sind empört.

Massnahme 1: Abweisung an der EU-Aussengrenze

Neu ist es möglich, Asylverfahren schon an den EU-Aussengrenzen durchzuführen. Dazu sollen in Grenznähe Asylzentren entstehen, in denen die Identität von Migranten überprüft wird. Bis zur Entscheidung über den Asylantrag sollen die Menschen bis zu zwölf Wochen unter haftähnlichen Bedingungen in Auffanglagern untergebracht werden können. Wer kein Recht auf Aufnahme hat, wird zurückgeschickt.

Zunächst soll das Verfahren nur bei Personen aus Ländern angewendet werden, die im EU-Schnitt eine Anerkennungsquote von unter 20 Prozent haben. Das sind Migranten aus der Türkei, Indien, Tunesien, Serbien und Albanien. Mit solchen Staaten werden Rücknahmeabkommen angestrebt.

Der Mehrheit der Flüchtlinge – etwa aus Syrien, Afghanistan oder dem Sudan – wird weiterhin das Recht auf ein normales Verfahren gewährt. Neu ist allerdings, dass man kaum Recht auf Asyl erhält, wenn man über einen sogenannt sicheren Drittstaat bis an die EU-Grenze gereist ist. Nebst Ländern wie Tunesien und Albanien sollen neu auch Georgien und die Moldau als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden.

Massnahme 2: Verteilung der Migranten

Für die Aufnahme von Migranten wird für jedes EU-Binnenland eine Quote festgelegt. Jedes Land kann aber selber bestimmen, ob es sich an diese Quote halten will.

Allerdings sollen Staaten, die weniger Personen aufnehmen, Kompensation in anderer Form leisten. Entweder erbringen sie Sachleistungen – zum Beispiel Hilfe im Verfahren – oder bezahlen 20’000 Euro pro Antragsteller. Einen verpflichtenden Mechanismus zur Verteilung von Migranten soll es nur im Krisenfall geben.

Weitere Massnahmen

Die Zusammenarbeit mit Drittstaaten soll weiter gefördert werden. Rücknahmeländer sollen mehr Unterstützung erhalten, Schleuserkriminalität soll stärker bekämpft und Abschiebungen sollen besser und sicherer geregelt werden.

Zudem will die EU dem Bevölkerungsrückgang und dem Fachkräftemangel durch das Anwerben von Personen aus Drittstaaten entgegenwirken. Dafür soll legale Migration erleichtert werden und mehr Patenschaftsprogramme entstehen.

Die bisherige Asylpolitik

Zurzeit sind vor allem die Länder an den Aussengrenzen der EU – Italien und Griechenland – vom Migranten-Ansturm betroffen. Das Dublin-Verfahren sorgt für eine ungleiche Verteilung der ankommenden Personen, weil diese nur dort einen Asylantrag stellen dürfen, wo sie erstmals europäischen Boden betreten haben.

Zum Schutz der europäischen Grenzen wurde 2005 die Grenzschutzagentur Frontex eingeführt. Diese steht jedoch immer wieder in der Kritik, sie würde Migranten gewaltsam an der Überfahrt hindern. Aufgrund der weiter ansteigenden Zahl von Asylsuchenden rief Italien im April den Notstand aus und bat um stärkere Unterstützung der Mitgliedsländer.

Die Kritik

Flüchtlingsorganisationen sind empört. So erklärte der europäische Caritas-Verband, die Reform werde die Asylproblematik in der EU nicht lösen, aber den Zugang zu Asyl und die Rechte der Schutzsuchenden einschränken. In den Staaten an der Aussengrenze würden absehbar Inhaftierungen – auch von Familien – unter schlechten Aufnahmebedingungen zum Alltag werden. Sie bezeichnen das individuelle Recht auf Asyl als faktisch tot.

Amnesty International schreibt auf X: «Die geplante Reform ist menschenrechtswidrig und wird zu mehr Leid, Pushbacks und Gewalt an den EU-Aussengrenzen führen. Geas wird bestehende Herausforderungen nicht lösen, sondern verschärfen!»

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