Kritische Blogger verhaftet – Schlammschlacht unter den Kriegs-Berichterstattern
Putin räumt bei seinen Internet-Soldaten auf

Milblogger sind im Ukraine-Krieg ein neues Phänomen. Sie berichten von der russischen Front und sollen Putins Truppen in ein gutes Licht rücken. Nun ist zwischen ihnen und dem Kreml-Herrscher sowie unter den Reportern selber ebenfalls ein Streit entbrannt.
Publiziert: 01.09.2023 um 17:26 Uhr
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Semjon Pegow ist auf Telegram als «War Gonzo» bekannt.
Foto: IMAGO/ITAR-TASS/ Sipa USA
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Guido FelderAusland-Redaktor

Wenn die russischen Soldaten an der Front einen Erfolg erzielen, sind die Militärblogger nicht weit. Die Kriegsberichterstatter fluten ihre Kanäle auf Telegram und Youtube mit meist geschönten Beobachtungen. Ziel: mit Propaganda die russische Bevölkerung sowie die Welt beeinflussen. 

Doch immer mehr werden die geschätzt rund 500 «Milblogger» zu einem Problem für Präsident Wladimir Putin (70). Berichteten sie bei der Invasion in die Ukraine noch euphorisch über den Vormarsch und einen bald zu erwartenden Sieg, wurden sie nach den russischen Armee-Misserfolgen immer kritischer. So stellen sie vermehrt offizielle Kreml-Mitteilungen infrage und relativieren beschönigende Zahlen. 

Mehrere Verhaftungen

Das stösst Putin sauer auf. Wie das Institute for the Study of War (ISW) berichtet, sind diese Woche gleich mehrere Blogger verhaftet worden. Der Vorwurf bei dreien: kritische Berichterstattung über den Umgang des Verteidigungsministeriums mit Problemen innerhalb der 205. motorisierten Schützenbrigade. Diese Einheit wird beschuldigt, am 6. Juni den Anschlag auf den Kachowka-Staudamm verübt zu haben.

Auch Andrej Kurschin (35), ein ultranationalistischer Blogger, wurde festgenommen. Auf seinem Kanal «Moscow Calling» kritisierte Kurschin regelmässig Präsident Putin sowie die militärische Führung. Er hat sich auch über Todesfälle an der Front lustig gemacht. 

Mit der Verhaftung des ebenfalls nationalistischen Bloggers und verurteilten Massenmörders Igor Girkin (52), der für eine radikale Ausweitung des Krieges wirbt, machte Putin schon Ende Juli auch einen der bekanntesten Blogger mundtot. 

Gegenseitige Anschuldigungen

Aber auch unter den Bloggern selber wächst die Wut über Kollegen, die den Krieg in ein schlechtes Licht rücken. So nannte Blogger Alexander Talipow (42) andere Blogger nach einem ukrainischen Angriff auf Sewastopol «Dummköpfe» und «Idioten». 

In der immer grösser werdenden Schlammschlacht unter den Bloggern bezeichnete Roman Saponkow (38) Talipow mehrfach abwertend als «ukrainischen Grenzschutzbeamten», da dieser früher für die ukrainischen Behörden gearbeitet hatte und erst später die russische Staatsbürgerschaft erhielt. 

Zum Schweigen bringen

Das Phänomen der Milblogger ist neu. Russland-Experte Ulrich Schmid (57) von der Uni St. Gallen sagt: «Es stellt im Ukraine-Krieg eine wichtige Dimension dar.» So hätten die Analysen und Berichte der Blogger zu gewissen Erfolgen der Russen beigetragen. Gleichzeitig seien die Front-Reporter für den Kreml eine Herausforderung. Schmid: «Einerseits gehören die Milblogger zu jener sozialen Gruppe, auf deren ideologische Unterstützung Putin angewiesen ist, andererseits stellen sie das Entscheidungsmonopol des Kremls infrage.» 

Bisher nahmen Milblogger in der staatlich-kontrollierten russischen Medienlandschaft eine Sonderstellung ein und konnten relativ frei von der Front berichten. Nun scheint der Wind zu drehen. Das ISW bilanziert, dass Putin wohl von der Selbstkontrolle der Milblogger profitiere und sie zu einem gewissen Grad auch fördere. Es schreibt: «Er toleriert einen Teil der Kritik, kultiviert aber wichtige Milblogger und versucht, besonders kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.»

Folgende Milblogger machen besonders von sich reden:

  • Semjon Pegow (38): Der ehemalige Reporter betreibt den Telegram-Kanal «WarGonzo» mit 1,3 Millionen Followern. Erhielt von Putin einen Ehrenorden, weil er durch eine Mine am Fuss verletzt wurde. 

  • Alexander Kots (44): Unter «Kotsnews» warf er der Ukraine vor, das Massaker von Butscha inszeniert zu haben.

  • Alexander Sladkow (57): Der prominente Blogger verplapperte sich bei einem Interview am TV, als sagte, dass auf russischer Seite «eine grosse Anzahl von Menschen» gestorben sei. Der TV-Reporter musste korrigierend eingreifen.

  • Boris Roschin (42): Der Stalin-Bewunderer schreibt als «Colonel Cassad» für 826’000 Telegram-Abonnenten. Putin bezeichnet er kritisch als «kapitalistischen Herrn». 

  • Ruslan Lewijew (37): Der kritische Blogger wurde schon Anfang des Krieges wegen «wissentlicher Verbreitung falscher Information» festgenommen und als «ausländischer Agent» bezeichnet. 

  • Dmitri Steschin (50): Schrieb schon 2014 über die Annexion der Krim und wurde für seine «objektive Berichterstattung» ausgezeichnet.

  • Maxim Fomin (†40): Der verurteilte Bankräuber mit dem Pseudonym «Wladen Tatarskij» nahm am Überfall der Russen auf die Ukraine teil. Im April 2023 wurde er bei einem Bombenattentat getötet. 

  • Igor Girkin (52): Der ehemalige Geheimdienstler mit dem Pseudonym «Strelkow» wurde von einem niederländischen Gericht im Zusammenhang mit dem Abschuss des Malaysia-Airline-Flugzeuges zu lebenslanger Haft verurteilt und international zur Verhaftung ausgeschrieben. Im Juli wurde der Blogger mit 730’000 Telegram-Abonnenten von den russischen Behörden wegen Kritik an Putins schwacher Haltung festgenommen.

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