Kreml bekundet offenbar Mühe mit eigenen patriotischen Gesetzen
Hier küsst Putins Sprecher die Hand einer berühmten russischen Kriegsgegnerin

Peinlicher Moment für Russlands Kriegsführung: Putin-Sprecher Peskow ehrte unlängst eine erklärte Kriegsgegnerin mit einem Handkuss. Die Ehrbekundung zeigt, in welchen Widersprüchen sich die Keml-Propaganda verfängt.
Publiziert: 16.05.2023 um 02:51 Uhr
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Aktualisiert: 16.05.2023 um 10:01 Uhr
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Putin-Sprecher Dmitri Peskow am 6. Mai in Moskau bei der Beerdigung in Moskau von einem berühmten russischen Modedesigner.
Foto: AFP
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Daniel KestenholzRedaktor Nachtdienst

Seltsamer Auftritt von Putin-Sprecher Dmitiri Peskow (55) unlängst in Moskau: Bei einer Beerdigung küsste er die Hand einer Kriegsgegnerin, sprich: einer Landesverräterin. Das sowjetische Popidol Alla Pugatschowa (73) lebt in Israel, seit sie den Ukraine-Krieg scharf kritisierte. Das hielt sie nicht davon ab, kurz für die Beerdigung eines Freundes in ihre Heimat zurückzukehren. Dort erwies ihr ausgerechnet der Putin-Vertraute Peskow die Ehre. Der Auftritt zeigt die Widersprüche auf, in denen sich die ultranationalistische Kreml-Propaganda selbst verfängt.

Pugatschowa gehört zu den vielen Russen, die ihrer Heimat seit Ausbruch des Krieges im südlichen Nachbarland den Rücken zugekehrt haben. Seit Moskaus Invasion sind nicht nur Hunderttausende von jungen Russen ins Ausland geflohen, um sich einer möglichen Einberufung in den Krieg zu entziehen. Auch zahlreiche russische Stars haben ihre Heimat verlassen.

Im Unterschied zu gewöhnlichen geflohenen Bürgern, die von Moskau als «Feiglinge» und «Verräter» bezeichnet werden, erhalten prominente Anti-Patrioten und Kriegskritiker das Label «ausländischer Agent» verpasst.

Stars klagen

Mehrere russische Stars, die den Krieg kritisierten und das Land verliessen, haben vor einem Moskauer Gericht Berufung eingelegt. Ein Bezirksgericht teilte der russischen Nachrichtenagentur Tass mit, dass gleich vier Anträge von prominenten Russen eingegangen seien, die Bezeichnung zu widerrufen. Diese Prominenten hatten ihre Heimat bereits vergangenes Jahr verlassen und wurden von den Behörden als «ausländische Agenten» eingestuft, nachdem sie sich gegen den Krieg geäussert hatten.

Unter den Stars, die jetzt Berufung einlegten, ist auch Pugatschowas Mann und Kriegskritiker Maxim Galkin (46). Als Galkin zum «ausländischen Spion» erklärt worden war, hatte sie aus Solidarität verlangt, auch so bezeichnet zu werden.

Alla Pugatschowa hatte am 6. Mai Moskau besucht, um an der Beerdigung der verstorbenen russischen Modeikone Walentin Judaschkin (†59) teilzunehmen. Weder wurde ihr die Einreise verwehrt, noch schienen ihr unangenehme Fragen gestellt worden zu sein. Im Gegenteil, Putin-Vertreter Peskow machte ihr fast den Hof.

Kriegstreiber ehrt Kriegsgegnerin

Am Grab war es zu einem selbst für russische Verhältnisse grotesken Moment gekommen: Dmitri Peskow persönlich, der Sprecher von Kriegspräsident Wladimir Putin (70), trat auf die Diva zu und küsste die Hand der Kriegsgegnerin. Die beiden tauschten auch ein paar Worte aus. Worüber die Kriegsgegnerin und der Kriegsbefürworter sprachen, ist nicht bekannt.

Die russische Klatschpresse zitierte dazu die ebenfalls anwesende lettische Sängerin Laima Vaikule (69). Zu Peskow: «Natürlich hat er das getan», so Vakule, die wie Pugatschowa ein Idol aus der Sowjetära ist. «Warum sollte er sich einem solchen Star nicht nähern? Es ist eine Ehre.»

Offenbar vermag das russische Regime die Leute nicht wirksam auszugrenzen, die sich gegen den Krieg äussern. Weiter sind unter den «ausländischen Agenten», die jetzt klagen, die Rockmusikerin Zemfira Ramazanova (46), die in Frankreich lebt, und der Showstar Semjon Slepakow (43), der einst eine populäre Quizsendung moderierte und den Zorn des Regimes mit einem satirischen Song auf sich zog. In dem Lied singt Slepakow von einer russischen Mutter, die beklagt, dass ihr dreijähriges Kind noch nicht in den Krieg ziehen kann.

Anachronistisches Gesetz

Das Ende 2012 verabschiedete Gesetz über ausländische Agenten ermöglicht die Kennzeichnung von russischen Einzelpersonen und gemeinnützigen Organisationen, die sich politisch betätigen und angeblich Geld aus dem Ausland annehmen.

Das Gesetz auferlegt den Betroffenen eine lästige Meldepflicht. Zudem müssen alle ihre Veröffentlichungen mit einem 24 Wörter langen Hinweis versehen werden, dass sie von einem «ausländischen Agenten» stammen. Dieser russische Begriff weckt Erinnerungen an Spionage aus der Zeit des Kalten Krieges.

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