Der Mordanschlag auf den prominenten Kriminalreporter Peter R. de Vries (64) schockt die Niederlande. Der Reporter war am Dienstagabend beim Verlassen eines TV-Studios in Amsterdam auf offener Strasse niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt worden. «Peter R. de Vries kämpft um sein Leben», sagte zutiefst bestürzt die Bürgermeisterin von Amsterdam, Femke Halsema (55).
Zwei Verdächtige wurden nach Angaben der Polizei festgenommen, darunter auch der vermutliche Schütze. Es gehe um einen 35-jährigen Mann mit polnischer Staatsangehörigkeit aus dem Ort Maurik im Südosten des Landes sowie einen 21-Jährigen aus Rotterdam, wie die Amsterdamer Polizei am Mittwoch mitteilte.
Wer hinter dem Anschlag steckt, wurde noch nicht bekannt gegeben. Sicher ist aber, dass der Reporter zurzeit über einen heissen Fall berichtete. So ist er ein Vertrauter des Kronzeugen Nabil B. im sogenannten Marengo-Prozess.
Prozess gegen brutalen Drogenbaron
Seit März stehen 16 Angeklagte vor Gericht, darunter Ridouan Taghi (43), einer der mächtigsten Drogendealer des Landes. Der Prozess wird voraussichtlich erst 2022 abgeschlossen sein.
In der Welt von Taghi scheinen Menschenleben nichts zu zählen. Der aus Marokko eingewanderte Verbrecher ist als Auftraggeber von sechs Morden angeklagt, in vielen andern Fällen wird immer noch gegen ihn ermittelt. Zu den Ermordeten zählen Kontrahenten aus dem Drogenmilieu oder Bandenmitglieder, die als Polizeispitzel verdächtigt wurden.
Zwei weitere Morde werden vor Gericht gesondert behandelt: 2018 wurde der Bruder des Kronzeugen ermordet, 2019 sein Anwalt Derk Wiersum (†44). Die Staatsanwaltschaft wirft Taghi vor, die kriminelle Vereinigung wie eine «gut geölte Tötungsmaschine» geführt zu haben.
Die beiden Verteidiger, die den Kronzeugen vor Gericht vertreten, stehen rund um die Uhr unter Polizeischutz. Es gibt Hinweise, dass auch ihr Leben gefährdet ist.
Reporter verzichtete auf Polizeischutz
Auch Reporter De Vries wurde zeitweise bewacht, nachdem er berichtet hatte, dass ihn Taghi auf die Todesliste gesetzt habe. Inzwischen verzichtete er aber auf Polizeischutz, weil er nicht wollte, dass sein Leben von schweren Sicherheitsmassnahmen bestimmt war.
Taghi war 1980 mit seinen Eltern in die Niederlande gekommen. 2018 setzte ihn die Polizei auf die Liste der meistgesuchten Verbrecher des Landes und versprach für die Ergreifung eine Belohnung von 100’000 Euro. 2019 wurde er in Dubai in einer gemieteten Villa verhaftet und an die Niederlande abgeschoben, wo ihm jetzt der Prozess gemacht wird.
Foltercontainer für Taghis Bande gefunden
In den Niederlanden herrscht ein erbitterter Drogenkrieg. Es gibt mehrere Drogenbanden, die sich bis aufs Blut bekämpfen. Vor einem Jahr führte die Polizei einen Schlag gegen eine Allianz von Banden aus, die sich «Los Pepes» nennt. Die Bezeichnung lehnt sich an die gleichnamige kolumbianischen Todesschwadron an, die den Drogenbaron Pablo Escobar (1949–1993) beseitigen wollte.
Auch die niederländischen «Los Pepes» bildeten eine Front, und zwar gegen ebendiesen Ridouan Taghi. Die Polizei entdeckte in Rotterdam sieben Container, in denen Menschen gefoltert wurden. In einem der Container – von der Bande «Behandlungszimmer» genannt – gab es einen Zahnarztstuhl und zahlreiche Folterinstrumente wie Heckenscheren, Zangen und chirurgische Instrumente. Sie waren, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte, für Taghis Komplizen bestimmt.
Ausgezeichneter Reporter
De Vries ist der führende Kriminalreporter der Niederlande und tritt regelmässig auch als Sprecher von Opfern oder Zeugen bei Prozessen auf. Regelmässig ist er auch Gast bei TV-Talkshows. International bekannt wurde der Reporter 1987 mit seinem Bestseller über die Entführung des Bierbrauers Freddy Heineken (1923–2002).
2008 gewann er einen Emmy Award für seine Reportagen über den Fall von Natalee Holloway (†25). Die Amerikanerin war 2005 auf Aruba verschwunden und vermutlich von einem Niederländer getötet worden.