Dieser Handschlag veränderte die Welt: Als Donald Trump und Kim Jong Un am 12. Juni 2018 im Hotel Capella in Singapur aufeinander zugingen, rückten auch der Kommunismus und der Kapitalismus näher zusammen. Knapp zwei Stunden unterhielten sich der US-Präsident und sein nordkoreanisches Pendant, Beobachter sprachen vom endgültigen Ende des Kalten Krieges. Auch wenn die dort getroffenen Abmachungen vage blieben und sich beide Seiten seither wieder voneinander entfernten, sprach Donald Trump stets von einem grossen Erfolg. Kim Jong Un dagegen äusserte sich kaum zum Treffen, Rechenschaft muss er in seinem Machtgefüge niemandem ablegen.
Nun aber hat der US-Journalist Bob Woodward Auszüge aus insgesamt 18 Interviews veröffentlicht, die er mit Donald Trump in den letzten Monaten führen konnte. Unter anderem zeigte Trump Woodward auch 27 bisher unbekannte Briefe, die Kim dem US-Präsidenten schrieb. Kopieren durfte der Journalist sie nicht, ihren Inhalt hat er auf ein Aufnahmegerät gesprochen. Zwei der Briefe wurden bisher veröffentlicht, Transkripte davon gibt es beispielsweise auf CNN.
Liebesbriefe und Loyalitätserklärungen
Die Schriftwechsel werfen einen neuen Blick auf die Beziehung zweier polarisierender Regierungsführer und lassen durchblicken, warum Trump, der Kim zu Beginn seiner Amtszeit als «kleiner Raketenmann» und ähnliches bezeichnete, später erster US-Präsident wurde, der einen nordkoreanischen Herrscher traf: Weil Kim Trump anhimmelte. Der Nordkoreaner redet den US-Amerikaner in den Briefen durchwegs mit «Ihre Exzellenz» an und lobt ihn in den höchsten Tönen. Trump beschreibt sie als «Liebesbriefe», Bob Woodward spricht von «Loyalitätserklärungen, die aus der Feder der Ritter der Tafelrunde oder von Bewerbern stammen könnten.»
So schrieb Kim am 25. Dezember, ein halbes Jahr nach dem Treffen in Singapur: «Sogar jetzt kann ich diesen historischen Moment nicht vergessen, in dem ich die Hand Ihrer Exzellenz hielt an dieser wunderschönen und heiligen Stätte, während die ganze Welt mit grossem Interesse und in der Hoffnung, die Ehre dieses Tages noch einmal zu erleben, zusah.» Die ganze Welt würde zu Beginn des neuen Jahres «ein weiteres historisches Treffen zwischen mir und Eurer Exzellenz erleben, das an eine Szene aus einem Fantasy Film erinnert», schrieb Kim weiter.
«Freundschaft wie Magie»
Drei Tage später schrieb Trump zurück: «Wie Sie habe auch ich keine Bedenken, dass wir ein grossartiges Resultat für unsere beiden Länder erreichen werden. Die einzigen beiden Führer, die das schaffen können, sind Sie und ich.»
Am 27. und 28. Februar 2019 fand dann tatsächlich ein weiteres Treffen zwischen den beiden in Vietnam statt. Zentrales Thema war wie schon in Singapur Nordkoreas nukleare Abrüstung. Der zweite Brief den Woodward öffentlich machte, wurde vier Monate nach diesem Anlass geschrieben. «Wie die kurze Zeit, die wir vor einem Jahr in Singapur miteinander verbrachten, war auch jede Minute, die wir vor 103 Tagen in Hanoi miteinander teilten, ein Moment des Ruhms, der eine wertvolle Erinnerung bleibt», schrieb Kim und fügte an: «Ich glaube, dass die tiefe und aussergewöhnliche Freundschaft zwischen uns wie Magie wirken wird.»
Drittes Treffen, Front-Seite und viele Bilder
CNN zitiert noch aus weiteren Briefen. Im Juni 2019 schrieb Trump an Kim: «Wenn wir zusammenarbeiten, können wir die Probleme unserer beiden Länder beseitigen und fast 70 Jahre Feindseligkeit beenden. Das würde einhergehen mit einer Ära von Wohlstand für die koreanische Halbinsel, die unsere Erwartungen noch übertrifft – und Sie werden derjenige sein, der führt.»
Kurz darauf schlug Trump vor, dass sich die beiden ein drittes Mal treffen sollen, dieses Mal in der demilitarisierten Zone Koreas. Nach diesem Treffen, das am 30. Juni 2019 stattfand, sendete Trump Kim eine Ausgabe der «New York Times», auf deren Titelbild die beiden Machthaber abgebildet waren. Dazu kommentierte er: «Mit Ihnen den Tag verbracht zu haben, war wirklich grossartig». Zwei Tage später sendete Trump 22 Fotos des Treffens an Kim Yong Un und sagte, diese würden die besondere Freundschaft zwischen ihnen festhalten.
Der Ton wird schärfer
Doch unterdessen hatte sich bei Kim etwas geändert. Einen Monat später schrieb er zurück, «in einem Ton, der einem enttäuschten Freund oder Liebhaber gehören könnte», sagte Woodward zu CNN. Kim sei enttäuscht darüber, dass die gemeinsamen Militärübungen der USA mit Südkorea nicht aufgehört hatten, wie es Trump bereits in Singapur versprach. «Ich bin eindeutig beleidigt und möchte diese Gefühle nicht vor Ihnen verstecken. Ich bin wirklich sehr beleidigt.» Und weiter: «Eure Exzellenz, ich bin extrem stolz und geehrt, dass wir eine Beziehung haben, in der ich Ihnen solche Gedanken mitteilen kann.»
Vor dieser Brieffreundschaft war die Stimmung zwischen Nordkorea und den USA aufgeheizt. Nordkorea provozierte die westliche Welt mit Raketentests, Trump twitterte fast täglich negativ über Kim und drohte «mit einer Wut zu reagieren, welche die Welt noch nie gesehen hat».
Woodward sagt, dass daraufhin die Alarmglocken im Weissen Haus angegangen seien und man davon ausging, vor einem Nuklearkrieg zu stehen. Der damalige Verteidigungsminister James Mattis soll zu Woodward gesagt haben, «diese Provokationen sind unproduktiv, kindisch und gefährlich.» Mattis selber «habe in der zweiten Klasse gelernt, über solchen Provokationen zu stehen.»
«Wäre ich nicht Präsident, wären wir im Krieg»
Nichtsdestotrotz schien die Gefahr eines Kriegs real, besonders für Trump. Zu Woodward sagte er: «Er (Kim) war absolut bereit, loszulegen. Und er erwartete das auch – aber dann trafen wir uns.» Zwei Wochen später sagte Trump zu Woodward: «Wenn ich nicht Präsident wäre, hätten wir – vielleicht wäre er jetzt schon vorbei, vielleicht nicht – einen grossen Krieg geführt».
Trump sagte, er habe «überhaupt nichts aufgegeben, um Kim zu treffen». Kritiker sagen, mit den Treffen nahm Trump die Drohungen viel zu ernst und gab Kim eine Legitimation, die dieser sehnsüchtig gesucht haben soll.
Zu einem späteren Zeitpunkt sprach Trump mit Woodward über Einzelheiten der Treffen. Er sagte laut CNN, dass ihm bewusst war, dass Kim keinen Deal machen und seine Anlagen zerstören würde aber man hätte diskutiert, ob einzelne zerstört werden. «Ich kenne alle Anlagen. Ich kenne die besser als meine Leute. Das müssen Sie verstehen», sagte er zu Woodward. Als Kim aber nicht einlenken wollte, habe Trump eine andere Strategie gewählt: «Machen Sie auch mal etwas anderes, als Raketen in die Luft zu schiessen?», soll er Kim gefragt haben. «Lassen Sie uns ins Kino gehen. Lassen Sie uns eine Runde Golf spielen.»
Trump war offenbar begeistert vom nordkoreanischen Diktator. Woodward erzählt er, dass ihm Kim «alles sage». Er habe ihm unter anderem eine «bildhafte Schilderung» gegeben, wie er seinen Onkel ermorden liess.
CIA: Kims Briefe sind ein Meisterwerk
Nachdem Trump Woodward die Briefe zeigte, warnte er den Journalisten im Januar 2020, Kim nicht zu provozieren. «Sie dürfen Kim nicht verspotten. Ich will keinen Nuklearkrieg, weil Sie ihn verspotteten.»
Laut Woodward weiss die CIA bis heute nicht, wer Kims Briefe schrieb. Man halte sie aber für «Meisterwerke». «Die Analysten loben die Fähigkeiten des Schreibers, genau die richtige Mischung von Schmeicheleien und seinem Verständnis von Grösse gefunden zu haben».