Hier verlässt Marine Le Pen den Gerichtssaal
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Nach Urteil:Hier verlässt Marine Le Pen den Gerichtssaal

Juristisch korrekt, aber eine Gefahr für die französische Demokratie?
Was das Hammer-Urteil gegen Marine Le Pen bedeutet

Frankreichs Rechtspopulistin Marine Le Pen ist der Veruntreuung öffentlicher Gelder schuldig gesprochen worden. Die Chefin des Rassemblement National darf nun während fünf Jahren kein politisches Amt mehr ausüben. Wir erklären, was das strenge Urteil bedeutet.
Publiziert: 31.03.2025 um 18:27 Uhr
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Aktualisiert: 31.03.2025 um 19:17 Uhr
Bis zum Ende der Wahlperiode kann Le Pen aber weiter als Abgeordnete im Parlament sitzen, wo sie Fraktionsvorsitzende ist.
Foto: IMAGO/ABACAPRESS
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Daniel JungRedaktor News

Das Pariser Strafgericht hat Marine Le Pen (56) am Montagmorgen zu zwei Jahren Haft per Fussfessel und zu einer auf fünf Jahre befristeten Unwählbarkeit für politische Ämter verurteilt. Damit darf die ehemalige Chefin des rechtsnationalen Rassemblement National (RN) bei den Präsidentschaftswahlen im Mai 2027 nicht kandidieren. Zudem wurde eine Geldstrafe von 100’000 Euro gegen sie verhängt. 

Der Schuldspruch erfolgte wegen Veruntreuung von Geldern durch Scheinbeschäftigung von Mitarbeitern im Europaparlament. Die Strafe wurde mit sofortiger Wirkung verhängt – und stellt ein Polit-Beben für Frankreich dar. Wie wird Marine Le Pen reagieren? Ist das Urteil juristisch korrekt? Und was heisst das für die Stabilität unseres westlichen Nachbars? 

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Marine Le Pen darf nun während fünf Jahren für kein politisches Amt mehr antreten.
Foto: IMAGO/ABACAPRESS

Kommt das Urteil überraschend?

«In der Schärfe definitiv», sagt Jacob Ross, Frankreich-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Mit einer Verurteilung hätten viele Beobachter gerechnet, nicht jedoch mit dem unmittelbaren Entzug des passiven Wahlrechts. 

«Emotional ja, juristisch nein», antwortet Gilbert Casasus (68), emeritierter Politik-Professor an der Uni Fribourg. Die Frage sei gewesen, ob sich ein Gericht den Mut hat, ein so gravierendes Urteil zu sprechen. Nun ist klar: Das Pariser Strafgericht hat sich getraut. 

Ist das Urteil juristisch korrekt?

«Hundertprozentig», ist Casasus überzeugt. Das Urteil beruhe auf einem Gesetz von 2016. «Das Parlament hatte damals die Schlussfolgerungen aus früheren Finanzskandalen gezogen», erklärt Casasus. Damals wurden drastische juristische Massnahmen verabschiedet, damit Klarheit herrsche bei der Finanzierung von politischen Parteien. 

Ist das Urteil politisch angemessen?

Klar ist: Der Schuldspruch stellt die politische Landschaft in Frankreich völlig auf den Kopf, sagt Casasus. Er sieht das Urteil ein Stück weit als Retourkutsche der Juristen an die Adresse des RN, weil die Partei die Juristen stets kritisiert hatte – in Frankreich werde nach Ansichten der RN das Strafrecht zu lasch angewendet, besonders bei kriminellen Ausländern. «Die Partei hat immer wieder dafür gesorgt, dass der juristische Apparat infrage gestellt worden ist», erklärt Casasus. Dieser habe nun mit Strenge geantwortet, die aber klar dem Gesetz entspreche. 

Klar ist aber auch: Das Urteil wird die Wut der 13 Millionen Wähler schüren, die bei den Präsidentschaftswahlen im April 2022 für Le Pen gestimmt hatten, als sie in der zweiten Runde gegen Emmanuel Macron (47) verloren hat.

Wird das Urteil juristisch Bestand haben?

Le Pens Anwalt hat bereits Berufung angekündigt. Es gilt gemeinhin aber als unwahrscheinlich, dass ein Berufungsprozess zu einem schnellen Ergebnis kommt. Bis zum Ende der Wahlperiode kann Le Pen aber weiter als Abgeordnete im Parlament sitzen, wo sie Fraktionsvorsitzende ist.

Wird sich Le Pen aus der Politik zurückziehen?

Das glaubt keiner der Experten. «Als Grande Dame des RN wird sie mit Sicherheit weiter die Fäden ziehen und Einfluss auf die politische Debatte in Frankreich nehmen», sagt Ross. 

Gemäss Casasus könnte Le Pen versuchen, im Volk eine kritische Stimmung gegenüber dem Rechtsstaat zu verstärken. «Sie könnte als Madonna des Volkes gegen die Judikative protestieren», so Casasus. Diese Strategie beurteilt der Politikwissenschaftler als gefährlich für Frankreich. «Solche Proteste könnten die ohnehin vorhandene politische Instabilität in Frankreich klar verstärken», sagt er. 

Ist das RN mit dem Urteil am Ende?

Keineswegs, ist Casasus überzeugt. Der RN könne sich als «Stimme des Volkes» und mit Kritik am Establishment noch stärker profilieren. «Die Partei wird sich als Opfer darstellen, obwohl sie nachweislich als Täterin verurteilt wurde.»

«In der zweiten Reihe sind mittlerweile viele Politiker bereit, die den politischen Kampf Le Pens fortsetzen werden», betont Ross. 

Kann der Jordan Bardella (29) in die Fussstapfen von Le Pen treten?

Jordan Bardella ist seit November 2022 Vorsitzender des Rassemblement National.
Foto: AFP

Die Chancen dazu sind intakt. Bardella, der Vorsitzende des RN, kommt bei der Wählerschaft insgesamt gut an. «Er ist jung, sieht gut aus, kann gut reden», sagt Casasus. Die sozial benachteiligten Schichten ausserhalb der grossen Städte könnten sich mit Bardella aber schlechter identifizieren als mit Le Pen. Intellektuell schätzt Casasus Bardella zudem als schwächer ein als Le Pen. 

Ross sagt: «Ob Bardella in zwei Jahren – als dann 31-Jähriger – die Statur für einen Präsidentschaftswahlkampf hat, daran zweifeln auch in der Partei viele.»

Was bedeutet das Urteil für den Umgang mit Rechtspopulisten in Europa?

Das müsse man abwarten, sagt Ross. «Klar ist aber schon heute, dass Rechtspopulisten in ganz Europa und auch in den USA das Urteil als Beweis dafür ins Feld ziehen, dass ihr politischer Aufstieg zunehmend juristisch bekämpft wird.» Vergleiche zum Ausschluss des Präsidentschaftskandidaten in Rumänien, Überlegungen zum Verlust des Stimmrechts Ungarns in Brüssel oder einem Verbotsverfahren gegen die AfD waren in vielen Reaktionen zu lesen.

Auf der Plattform X schrieb etwa Jordan Bardella: «Es ist nicht nur Marine Le Pen, die heute ungerechterweise verurteilt wurde: Das ist die Hinrichtung der französischen Demokratie.»

Muss man sich nun neue Sorgen machen um Frankreich?

«Frankreich steht politisch vor einer Zerreisprobe», sagt Casasus. Marine Le Pen sei ein besonderes politisches Talent gewesen, das Leute aus verschiedenen Schichten vereinen konnte. «Dass Marine Le Pen jetzt keine grosse Rolle mehr spielen kann, ist eher eine gute Nachricht für die französische Demokratie», sagt Casasus. «So hoffe ich es zumindest.»

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