Darum gehts
- Frau stoppt Mann, der sie beim Joggen filmte. Petition fordert Gesetzesänderung
- Voyeur-Aufnahmen sind in der Schweiz nur unter bestimmten Umständen strafbar
- Fast 39'000 Menschen haben die Petition nach einer Woche unterschrieben
Im Februar ging ein Video viral. Einmal mehr. Bei dem Video handelt es sich aber nicht um einen lustigen Prank oder ein herziges Büsi-Video. Es zeigt einen Mann, mit zensiertem Gesicht, auf einem E-Bike. Er hält sein Handy in der Hand, eine Frau hält seinen Velolenker fest.
Die Frau ist die 30-jährige Kölnerin Yanni Gentsch, und der Mann hatte sie von hinten beim Joggen gefilmt. «Im Augenwinkel sah ich einen Schatten hinter mir», erzählt sie. Grund für das nahe Auffahren habe es keinen gegeben. «Es war mehr als genug Platz auf dem Weg», so Gentsch. Reflexartig drehte sie sich deshalb um und sah, dass der Mann sein Handy in der Hand hält und filmt. «Nicht etwa die Bäume, sondern meinen Po», sagt die junge Frau zu Blick.
Sie habe nicht mehr gross überlegt und sich ihm in den Weg gestellt, ihn aufgefordert, das Video zu löschen und dann selber angefangen, die Situation mit der Kamera ihres Telefons festzuhalten. Zu ihrem eigenen Schutz. Im Video ist zu sehen und zu hören, wie sie den Mann zur Rede stellt und ihn auffordert, das Video zu löschen. «Auch aus dem Papierkorb», hört man sie mit bestimmter Stimme sagen. Nachdem der Mann die Aufnahmen endlich entfernt hat, fragt sie ihn, wieso man so etwas tut. Er mache so etwas «normalerweise» nicht, sagt er kleinlaut.
«Meine Klamotten sind keine Einladung»
14 Millionen Menschen haben das Video mittlerweile gesehen. Diese Aufmerksamkeit will sie nun für eine Petition nutzen: «Voyeur-Aufnahmen strafbar machen – jetzt Gesetzeslücke schliessen!»
Die Forderungen sind klar:
«Laut Gesetz ist heimliches Filmen nämlich nur dann strafbar, wenn der Intimbereich direkt betroffen ist – also unter die Kleidung oder nackter Haut. Auch hat der Mann das Video noch nicht veröffentlicht oder weitergeleitet. Dass ein Mann gezielt meinen Körper mit sexueller Absicht filmt, zählt also nicht als Straftat», heisst es im Petitionstext.
Nach einer Woche haben bereits fast 39'000 Menschen die Petition unterschrieben. Für die Initiantin ein überwältigendes Gefühl. «Es ist echt krass und das zeigt mir, dass das genau das Richtige war, und ich hoffe, dass wir so wirklich nachhaltig etwas bewirken können.»
Aspekte zur Schweiz
Auch in der Schweiz ist das heimliche Filmen nur unter spezifischen Parametern strafbar. Wie das genau aussieht und ob ein solcher Vorstoss auch in der Schweiz erfolgreich sein könnte, erklärt Martin Wyss, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Kompetenzzentrum für Medizin, Ethik und Recht Helvetiae (MERH).
Das Fotografieren oder Filmen einer Person beim Joggen auf öffentlichen Strassen sei strafrechtlich in der Regel nicht relevant, es sei denn, es handle sich um Aufnahmen, die in unmittelbarer Nähe zu geschützten Bereichen wie einem Hauseingang oder in einem geschützten Raum wie einer Wohnung gemacht werden, erklärt Martin Wyss. Strafrechtlich relevant können jedoch «Upskirting» oder «Downblousing-Aufnahmen» sein, bei denen unter den Rock oder direkt in den Ausschnitt gefilmt wird. «Eine sexuelle Belästigung liegt beim blossen Fotografieren nicht vor, da keine körperliche Berührung oder andere direkte Einwirkung erfolgt», so Wyss.
Zivilrechtliche Aspekte
Weiter könne zivilrechtlich eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild vorliegen, wenn eine Person ohne Zustimmung in identifizierbarer Weise abgebildet wird, so der Experte. «Das Joggen auf öffentlichen Strassen fällt jedoch nicht unter die geschützte Privatsphäre. Eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild kann nur dann relevant sein, wenn die Person gezielt und erkennbar fotografiert wird», führt Wyss weiter aus.
Rechtsanwalt Martin Wyss erklärt auch, was Betroffene unternehmen können: «Eine Strafverfolgung nach Artikel 179quater im Strafgesetzbuch erfordert, dass innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis der Tat und des Täters ein Strafantrag bei einer Strafverfolgungsbehörde gestellt wird. Ein Strafantrag kann auch gegen unbekannt eingereicht werden. Zivilrechtlich kann gegen eine bekannte Person vorgegangen werden, indem sie aufgefordert wird, die Bilder zu löschen, oder durch eine Klage auf Beseitigung der Bilder.» Selbsthilfe sei rechtlich umstritten und sollte vermieden werden, da tätliche Angriffe oder die Beschädigung von Ausrüstung zu straf- und zivilrechtlichen Konsequenzen führen können, ergänzt er.
Chancen für Petition in der Schweiz
«Eine solche Petition könnte meines Erachtens auch in der Schweiz Unterstützung erfahren. Erstens ist in der Informationsgesellschaft mit Internet und Social Media sowie der hohen Verbreitung von Kameras im Alltag das Bewusstsein für den Persönlichkeitsschutz zunehmend ausgeprägt», sagt Wyss auf die Petition von Yanni Gentsch angesprochen.
«Zweitens wird – wie in der Petition aus Deutschland – auch in der Schweiz das Strafrecht vermehrt als erstes Mittel dafür angesehen, um gesellschaftliche Entwicklungen zu steuern und Fehlentwicklungen zu begegnen. Diese Tendenz wird in der Strafrechtswissenschaft zum Teil kritisch gesehen», sagt Wyss abschliessend.