Israelische Wissenschaftler zeigen sich offener für Durchseuchung von geimpfter Bevölkerung
Die Omikron-Welle kann erst enden, wenn sich Massen infiziert haben

Israel gilt als Vorreiter von Covid-Massnahmen. Auch Israel hat offenbar kein Patentrezept, die Omikron-Welle zu stoppen. Die «Wunderwaffe» könnte diesmal eine weit verbreitete Infektion sein, sagen Wissenschaftler.
Publiziert: 29.12.2021 um 02:32 Uhr
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Aktualisiert: 29.12.2021 um 08:49 Uhr
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Israel beschliesst schneller Massnahmen zur Bekämpfung von Covid als jedes andere Land der Welt.
Foto: Keystone

Selbst Israel – globale Vorreiter-Nation bezüglich Corona-Bekämpfung – hat offenbar kein Mittel, um die Omikron-Welle zu stoppen, die über das Land hinwegfegt. Unter Gesundheitsexperten im Land wird jetzt offen Durchseuchung diskutiert. Man scheint zur Erkenntnis zu gelangen, dass die «Wunderwaffe» dieses Mal eine weit verbreitete Infektion sein wird.

«Die fünfte Welle könnte damit enden, dass eine grosse Anzahl von Menschen infiziert wird», sagt Professorin Cyrille Cohen, Leiterin des Immunologie-Labors an Tel Avivs Bar-Ilan-Universität. «Nur durch eine natürliche Aussetzung, wenn man mit Impfstoffen geschützt ist, sehe ich, dass dieses Virus endemisch wird», so Cohen zur «Jerusalem Post».

Die erste und die zweite Welle hatte Israel mit seiner Abriegelung zu stoppen versucht. Die Wirtschaft und auch das allgemeine Wohl der Bevölkerung hätten schweren Schaden genommen, schreibt die Zeitung. Die dritte Welle versuchte Israel mit einer Impfkampagne zu brechen. Die vierte Welle wurde durch Auffrischungsimpfungen gebremst, doch nicht gestoppt.

Noch kein Patentrezept

Ein Patentrezept hat auch Israel nicht entwickelt, um sich vor Omikron zu schützen. Bemühungen, die Ausbreitung der so ansteckenden Virusvariante zu stoppen, seien «wahrscheinlich aussichtslos», zitiert die «Jerusalem Post» Professor Hagai Levine, Vorsitzender der israelischen Ärztevereinigung. «Wir werden diese Welle nicht aufhalten können. Was wir tun können und sollten, ist, die am meisten gefährdeten Menschen so gut wie möglich zu schützen.»

Covid-Partys oder andere Versuche, sich bewusst mit dem Virus anzustecken, empfehle er keineswegs. Allerdings sagt Levine: «Wir haben zwei Jahre lang versucht, der Kugel auszuweichen, und in Israel waren wir bis zu einem gewissen Grad erfolgreich. Aber der grösste Teil der Menschheit lebt noch, nachdem er sich mit Covid infiziert hat.»

Demnach würden auch neue Forschungsergebnisse zeigen, dass geimpfte Personen nach Impfdurchbrüchen eine sogenannte Super- oder Hybrid-Immunität entwickeln, so Levine. Das bedeutet, dass sie sehr hohe Mengen an Antikörpern produzieren, die in der Lage sind, verschiedene Stämme von Covid-19 und anderen Viren unschädlich zu machen.

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Omikron-Infektion schwäche Delta ab

Dabei scheint auch unwahrscheinlich, dass auf eine Durchbruchsinfektion bei Geimpften eine schwere Erkrankung folgt. Laut neuesten Daten aus Israel befinden sich lediglich zwei Omikron-Patienten in kritischem Zustand. Beide sind nicht geimpft. Bloss zwei von mehr als 80 Covid-Patienten, die derzeit auf israelischen Intensivstationen liegen, haben die Omikron-Variante.

Zudem besagt eine diese Woche auf dem medizinischen Datenportal «MedRxiv» veröffentlichte Studie, dass Menschen, die sich mit Omikron infizieren, auch besser gegen Delta geschützt sein könnten. «Die grosse Zahl der mit Omikron infizierten Menschen, die in Israel und auf der ganzen Welt zu erwarten ist, könnte den Grad der Immunität der gesamten Bevölkerung deutlich erhöhen und dazu beitragen, Delta und zumindest einige der anderen Varianten auszurotten.» Dies schrieb Professor Eran Segal, Computerbiologe vom israelischen Weizmann-Institut für Wissenschaften, als Reaktion auf die Studie auf Twitter. Wenn sich die Studie als richtig erweise, «markiert Omikron vielleicht einen epidemiologischen Übergang zum endemischen Stadium des Virus» – eine Prognose, die in den vergangenen Tagen schon eine Reihe von namhaften Virologen und Wissenschaftlern machte.

Dazu auch eine neue Studie aus Südafrika: «Der Anstieg der Neutralisierung der Delta-Variante bei Personen, die mit Omikron infiziert wurden, kann zu einer verminderten Fähigkeit von Delta führen, diese Personen erneut zu infizieren», fassten Forscher die Ergebnisse ihrer Studie zusammen. Dies könne dazu beitragen, Delta zu verdrängen, sagte Studienleiter Alex Sigal, Professor am Africa Health Research Institute in Südafrika.

Allgemeinen Immunschutz stärken

Der Körper lernt. Nach einer ersten Infektion bekämpft das Immunsystem eine neuerliche Infektion schneller und es werden nicht mehr so viele weitere Personen angesteckt. In der nächsten Infektionsrunde gebe die Person die Krankheit gar nicht mehr weiter, erklärt Cohen. So entstehe eine Art Herdenimmunität. «Das Virus hat nicht genügend Wirte, um sich in der Bevölkerung zu vermehren. Es handelt sich fast um eine Herdenimmunität.»

In diese Richtung solle Israel auch denken, fordern die Wissenschaftler. Statt Wellen zu bekämpfen, solle Israel damit beginnen, die Immunität und Widerstandsfähigkeit gegen das Virus zu stärken. Massnahmen gehörten auf ein Mindestmass reduziert, um den Immunschutz in der Bevölkerung zu stärken.

«Wir sollten keine Schulen dichtmachen. Wir sollten nicht abriegeln. Wir sollten die Flughäfen nicht schliessen», betont Levine. Massnahmen sollten verhältnismässig sein. Das Land müsse Impfungen fördern und in öffentliche Massnahmen investieren, welche die allgemeine Gesundheit schützen und fördern. Dies sorge für die bestmögliche Verteidigung gegen auch neue Virusvarianten. (kes)

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