Seit Samstag fühlen sich Millionen von Ukrainern verarscht. Beim iranischen Angriff auf Israel waren die USA, Frankreich und Grossbritannien sofort zur Stelle und halfen den Israelis mit ihren eigenen Kampfjets, Teherans Drohnen und Raketen vom Himmel zu holen. Erfolgsrate: 99 Prozent. Kostenpunkt: mehr als eine Milliarde Dollar. Israel hatte keinen einzigen Toten zu beklagen.
Die Ukrainer hingegen müssen gerade hilflos zusehen, wie Russland mit denselben Raketen und vom Iran gelieferten «Shahed»-Drohnen ihre Mitmenschen tötet und ihre Städte zerstört. Die westlichen Verbündeten schauen praktisch tatenlos zu. Deshalb wagte Präsident Wolodimir Selenski (46) jetzt einen drastischen neuen Schritt.
Der sonst auffällig dankbare und im Kontakt mit westlichen Unterstützern stets diplomatische Kriegspräsident richtete sich in einer emotionalen Ansprache Anfang Woche direkt an die Regierungen in London, Paris und Washington und machte klar: «Rhetorik allein schützt unseren Luftraum nicht. Schöne Worte können die Produktion von russischen Raketen nicht stoppen.» Diese Raketen aber hätten in der Ukraine genau denselben Effekt wie in Israel: «Sie zielen auf unschuldige Menschen.»
Selenskis verzweifelter Aufruf
Selenskis Botschaft war unmissverständlich: Wenn ihr dem Nicht-Nato-Land Israel zu Hilfe eilt und alle feindlichen Geschosse vom Himmel holt, dann tut das auch für uns! «Wir alle verdienen Frieden – ob nun in Israel oder in der Ukraine. Der Terror muss überall besiegt werden, nicht an einem Ort etwas mehr und am anderen Ort etwas weniger», sagte Selenski.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 fordert die Regierung in Kiew vom Westen, «den Himmel über der Ukraine zu schliessen». Anfänglich wünschten sich die Ukrainer eine Flugverbotszone. Inzwischen hoffen sie auf jene Mittel, die sie bräuchten, um die tödlichen Raketen und Bomben zu stoppen. Erst vor Kurzem betonte Selenski erneut, der Westen solle der Ukraine sämtliche verfügbaren Patriot-Luftabwehrsysteme schicken, «damit die nicht bald schon an der Nato-Ostgrenze eingesetzt werden müssen».
Der erfolgreiche Einsatz der Israel-Verbündeten am Wochenende hat gezeigt, wie effizient westliche Kräfte die vom Iran und von Russland eingesetzte Distanzwaffen stoppen könnten. Was fehlt, ist einzig der politische Wille. So betonte etwa der britische Aussenminister David Cameron (57), der Einsatz westlicher Kampfjets gegen russische Geschosse auf die Ukraine käme einer «gefährlichen Eskalation» gleich.
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Humbug, entgegnete etwa Bohdan Nahaylo, Chefredaktor der Zeitung «Kyiv Post»: Wenn Kiews Verbündete russische Geschosse vom ukrainischen Himmel holten, dann sei das keine Eskalation, sondern ein legitimer Verteidigungsakt eines zu Unrecht angegriffenen europäischen Landes.
Hoffnung auf US-Hilfe ist geplatzt
Doch die Zeichen stehen grad gar nicht gut für Kiew. Die Russen rücken im Donbass ohne Rücksicht auf Verluste langsam Stück für Stück vor. Und aus Amerika droht neues politisches Ungemach: Die US-Republikaner blockieren nach wie vor ein neues Gesetzespaket, das der Ukraine, Israel und Taiwan dringend benötigte Militärhilfe zugesichert hätte.
Schlimmer noch aus Sicht der Ukraine: Das 95-Milliarden-Dollar-Paket, das Kiew Waffen und Munition im Wert von rund 60 Milliarden in die Taschen gespült hätte, soll offenbar noch diese Woche in drei separate Gesetzesvorlagen aufgeteilt werden. Die Idee der Republikaner: Sie wollen das israelische Hilfspaket absegnen, die Milliarden für die zunehmend zur politischen Last werdenden Ukraine aber fallenlassen. Und dies, obwohl ein Grossteil der «Hilfe» direkt in amerikanische Waffenfabriken fliessen würde, die im Auftrag der US-Regierung dringend benötigte Munition für die Ukraine herstellen könnten.
Die Klagen der Ukraine sind angesichts der dramatischen Lage im Osten des Landes verständlich. Die Unterstützung für Israel beim iranischen Grossangriff natürlich auch. Israel ist ein langjähriger Verbündeter vieler westlicher Mächte, der Iran ein isoliertes Regime, das mit seinen feindlichen Bekundungen gegenüber dem Westen und mit seinem grausamen Umgang mit den eigenen Bürgerinnen viel Grund zu klarer Kante liefert.
Das alleine wird die Ukraine nicht über die ausbleibende neue Hilfe hinwegtrösten. Da ist auch die Aussicht auf den «Friedensgipfel» auf dem Bürgenstock in der Innerschweiz nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Ohne vorgängigen militärischen Sieg gegen die Russen wollen die Ukrainer gar nicht erst über Frieden reden.