Frau Engelhorn, wenn eine ausländische Millionenerbin früher mit einem Schweizer über Geld gesprochen hätte, wäre es meist darum gegangen, wie sie es in eidgenössischen Banken vor dem Staat verstecken kann.
Marlene Engelhorn: Wir haben uns zu lange an einen Umgang mit Vermögen gewöhnt, bei dem es nur ums Horten und Anhäufen von Geld geht, um ein Übergewicht von privaten gegenüber öffentlichen Interessen.
Wir sprechen deshalb nun über Ihr Buch «Geld», das Sie am 26. September veröffentlichen und worin Sie höhere Steuern für Reiche fordern. Eine verkehrte Welt!
Ich finde sie gar nicht so verkehrt. Steuern zu zahlen, ist das Demokratischste, ja das Stolzeste, das ich machen kann. Sich da rauszunehmen, halte ich für unsolidarisch und im Grunde genommen für unreif.
Marlene Engelhorn (30) studiert Germanistik an der Universität Wien und arbeitet unter anderem im Bereich der Nachhilfe und der Sprachtrainings. Ihr Urahne ist der BASF-Gründer Friedrich Engelhorn (1821–1902). Sie ist Enkelin von Traudl Engelhorn-Vechiatto (95), deren Vermögen das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» auf 3 bis 3,5 Milliarden Franken schätzt. Als Marlene Engelhorn erfährt, dass sie von ihrer in der Westschweiz lebenden Grossmutter dereinst ein Millionenerbe bekommt, beschliesst sie, 90 Prozent dem österreichischen Staat zu vermachen, und wird Mitbegründerin von «taxmenow». Die Initiative will, dass «Überreiche» Vermögens- und Erbschaftssteuer zahlen müssen.
Marlene Engelhorn (30) studiert Germanistik an der Universität Wien und arbeitet unter anderem im Bereich der Nachhilfe und der Sprachtrainings. Ihr Urahne ist der BASF-Gründer Friedrich Engelhorn (1821–1902). Sie ist Enkelin von Traudl Engelhorn-Vechiatto (95), deren Vermögen das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» auf 3 bis 3,5 Milliarden Franken schätzt. Als Marlene Engelhorn erfährt, dass sie von ihrer in der Westschweiz lebenden Grossmutter dereinst ein Millionenerbe bekommt, beschliesst sie, 90 Prozent dem österreichischen Staat zu vermachen, und wird Mitbegründerin von «taxmenow». Die Initiative will, dass «Überreiche» Vermögens- und Erbschaftssteuer zahlen müssen.
Sie gehen mit gutem Beispiel voran: Sie erben dereinst einen zweistelligen Millionenbetrag von Ihrer in der Westschweiz lebenden, 95-jährigen Grossmutter …
… ich gebe keine Auskunft zum Wohnort meiner Familie. Ich hoffe, Sie verstehen das …
… und wollen das Geld zu 90 Prozent dem österreichischen Staat vermachen. Weshalb?
Ich bekomme dafür ein gutes Bildungssystem, einen guten öffentlichen Verkehr, ausgezeichnete Telekommunikation und einen Rechtsstaat. Davon profitiere ich masslos.
Vertrauen Sie Ihrem Land derart?
Österreich ist nicht perfekt, aber es ist eine Demokratie.
Aber es könnte eine Regierung an die Macht kommen, die Ihr Geld so verwendet, wie Sie es nicht wollen.
Zunächst einmal wäre das ein Problem, das alle Menschen betreffen würde – ausser die Vermögenden, die in Österreich keine Vermögenssteuer bezahlen müssen. Eine solche Regierung würde also nicht nur mich, sondern auch sehr viele vergraulen, die ihr Geld übers Einkommen versteuern. Und dann sprechen Sie noch einen entscheidenden Punkt an.
Welchen denn?
Es besteht ein grosser Unterschied zwischen Regierung und Staat. Der Staat ist ein Verwaltungsapparat, den man in einer grossen Gesellschaft braucht, aber die Regierung ist das, was wir wählen. Es gibt inkompetente Regierungen in Demokratien – und die kann man abwählen.
Sie haben im Juni 2021 die Initiative «taxmenow» ins Leben gerufen. Nach einem Jahr haben Sie 59 Reiche, die das Anliegen unterstützen, stärker besteuert zu werden. Hätten Sie sich nicht mehr erhofft?
Bei «taxmenow» bin ich nicht allein. Die grosse, schweigende Gruppe Vermögender, die sich bezüglich Steuern nicht zu Wort meldet, ist nicht zwangsläufig dagegen. Es gibt mehr Vermögende, als man weiss, die durchaus ein positives Verständnis von Steuerzahlung haben. Aber es gibt etwas Wichtigeres als die Frage, ob wir eine grosse oder kleine Bewegung sind.
Nämlich?
Das Anliegen so gut wie möglich in den Medien zu halten, um zu verdeutlichen, wie wichtig die Debatte ist. Unser Argument ist: «Hey, wir haben einen Überschuss in privaten Händen, der an die Öffentlichkeit gehen sollte. Und es ist demokratisch, ihn umzuverteilen.»
Die Lancierung von «taxmenow» sorgte für mediales Aufsehen. Liest man allerdings Kommentare, dann verstehen viele nicht, dass Sie Ihr Geld dem Staat geben wollen.
Die Vermögenssteuer ist die einzige Abgabe, bei der man die Menschen fragt, ob es ihnen recht ist. Das ist ein Messen mit zweierlei Mass und einer Demokratie unwürdig. Es gibt einen Gleichheitsgrundsatz.
Was heisst das konkret?
Ich gehe nicht zu einem Menschen hin, der arbeitet, und frage: «Zahlen Sie gerne Einkommenssteuer?» Aber genau diese Frage stellt man Vermögenden. Und warum? Weil man ihnen zubilligt, dass sie die Macht haben, entscheiden zu dürfen.
Sie könnten sich für eine private Stiftung entscheiden wie etwa Bill Gates.
Nur, weil es der Staat nicht perfekt macht, heisst das noch lange nicht, dass man ihn durch eine Privatinitiative ersetzen sollte. Mir sind Steuern lieber als private Stiftungen, wo man mit der Rendite Finanzberater bezahlt und bestimmt, was Weltrettung ist. Nehmen wir das Beispiel Bill Gates …
… gerne!
Wie kann es sein, dass ein Mann mit seinem Privatvermögen der zweitgrösste Kapitalgeber der Weltgesundheitsorganisation ist? Auch wenn er etwas Gutes macht, heisst das nicht, dass es in Ordnung ist. Denn in einer Demokratie stehen ganz andere Prozesse zur Verfügung.
Woran denken Sie da in erster Linie?
Die Mitbestimmung ist viel wertvoller, als sich darauf zu verlassen, dass sich irgendwelche privatwirtschaftlichen Organisationen darum kümmern. Mit Steuern kann man dafür sorgen, dass es allen Menschen gut geht. Die Tatsache, dass jemand mit einer Verbrauchssteuer den Staat eher am Laufen hält als jemand, der mit seinem Vermögen massiv vom Staat profitiert, finde ich unerträglich.
Wie profitieren Reiche vom Staat?
Vermögen entstehen nicht im luftleeren Raum. Es braucht dafür ein Gerüst, die staatliche Infrastruktur, was zum Beispiel Recht und Rechtssicherheit angeht: Ohne Recht habe ich kein Eigentum und keine Möglichkeit, ein Unternehmen zu gründen. Das anzuerkennen und mit Steuern zu reflektieren, ist für mich das Selbstverständlichste.
Und trotzdem lehnten Schweizerinnen und Schweizer 2015 eine Erbschaftssteuerreform mit 71 Prozent ab, obwohl nur ein kleiner Teil davon betroffen gewesen wäre. Warum stimmen viele gegen ihre eigenen Interessen?
Das frustriert mich sehr, wenn ich mitbekomme, dass sich ein Mythos hartnäckig hält: Viele Leute bilden sich ein, es könnte sie betreffen. Aber Tatsache ist: Wenn man nicht reich auf die Welt kommt, wird man es nicht. Das ist Fakt. Es gibt Ausnahmen, aber die Regel sieht das nicht vor.
Wie kommen denn solche Abstimmungsergebnisse zustande?
Das liegt daran, dass die Lobby der Familienunternehmen seit 40 Jahren die Geschichte erzählt, sie schafften Arbeitsplätze. Deshalb dürfe man ihnen niemals etwas wegnehmen.
Die schaffen doch Arbeitsplätze!
Aber die grössten Arbeitgeber in einem Staat sind in der Regel nicht privatwirtschaftliche Unternehmen, sondern die öffentliche Hand. Man kann deshalb das Narrativ auch drehen und als Familienunternehmen sagen: «Wir zahlen gerne Steuern. Die kommen allen zugute.»
Mit dieser Ansicht scheinen Sie innerhalb Ihrer Familie eine Ausnahme zu sein: Die Engelhorns machten bei uns bisher vor allem mit Erbschaftsstreitereien in Gstaad und Luzern Schlagzeilen.
Welche Engelhorns? Der Name Engelhorn ist zwar kein Allerweltsname, aber es gibt viele, die sehr entfernt verwandt sind. Ich habe keine Ahnung, wer die sind. Und wenn die sich um Erbschaften streiten, dann ist das deren Problem und nur peinlich.
Wie steht Ihre Grossmutter zu Ihren Ansichten?
Darüber möchte ich nicht sprechen, aber ich kann Ihnen sagen: Sie ist eine entzückende Person. Ich bekomme Unterstützung aus allen unterschiedlichen Kreisen, in denen ich mich bewege. Jedoch wollen die wenigsten Menschen regelmässig über Steuern sprechen – das ist nun mal nicht das super sexy Thema.
Österreich: Es ist kein Zufall, dass Marlene Engelhorn aus Wien für die Besteuerung reicher Menschen anschreibt. Denn unser östliches Nachbarland kennt weder eine Erbschafts- und Schenkungssteuer noch eine Steuer auf Vermögen.
Deutschland: Unser nördliches Nachbarland kennt zwar auch keine Vermögenssteuer, allerdings gibt es Steuern auf Erbschaften und Schenkungen.
Schweiz: Bei uns ist die Vermögenssteuer von Kanton zu Kanton sehr unterschiedlich. Bei Erbschaften erheben Kantone wie Nidwalden, Schwyz oder Zug keinen Anspruch.
Frankreich: Beim westlichen Nachbarn gibt es Steuern sowohl auf Erbschaften als auch auf Vermögen, bei Letzterem allerdings nur auf Immobilien.
Italien: Im Süden von uns müssen alle ihre Erbschaften versteuern, Vermögen jedoch nur Ausländer, die dort leben.
Österreich: Es ist kein Zufall, dass Marlene Engelhorn aus Wien für die Besteuerung reicher Menschen anschreibt. Denn unser östliches Nachbarland kennt weder eine Erbschafts- und Schenkungssteuer noch eine Steuer auf Vermögen.
Deutschland: Unser nördliches Nachbarland kennt zwar auch keine Vermögenssteuer, allerdings gibt es Steuern auf Erbschaften und Schenkungen.
Schweiz: Bei uns ist die Vermögenssteuer von Kanton zu Kanton sehr unterschiedlich. Bei Erbschaften erheben Kantone wie Nidwalden, Schwyz oder Zug keinen Anspruch.
Frankreich: Beim westlichen Nachbarn gibt es Steuern sowohl auf Erbschaften als auch auf Vermögen, bei Letzterem allerdings nur auf Immobilien.
Italien: Im Süden von uns müssen alle ihre Erbschaften versteuern, Vermögen jedoch nur Ausländer, die dort leben.
Warum haben Steuern ein derart schlechtes Image?
Wir assoziieren jede Art von Bezahlung mit: «Will ich nicht!» Die Geiz-ist-geil-Mentalität ist weit verbreitet. Doch das ist Unfug: Das sorgt für Wegwerfprodukte und einen Billiglohnsektor, in dem Arbeit keinen Wert mehr hat.
Und was bewirkt man mit Bezahlung?
Jemand, der Geld ausgibt, hat verstanden, wie Geld funktioniert, denn genau dafür ist es da: Es ist ein Zirkulationsmittel und funktioniert nur, wenn es sich bewegt. Wenn das Geld in Steuerparadiesen versumpft, tut das dem Geld nicht gut und der Öffentlichkeit schon gar nicht.
In Ihrem Buch monieren Sie, dass wir bezüglich Geld zwar eine Armutsgrenze haben, aber nach oben kein Limit kennen. Wann ist man – wie Sie es formulieren – «überreich»?
Ich kann nicht sagen, was zu viel ist. Ich kann höchstens sagen, was für mich zu viel ist – diese Kompetenz habe ich. Es braucht ein Zusammenspiel aus demokratischem Prozess und wissenschaftlicher Expertise, um die Grenze zu definieren.
Die Berkeley-Professoren Emmanuel Saez und Gabriel Zucman rechneten vor, dass Milliardäre in den USA 1970 die Hälfte und heute bloss noch ein Viertel der Einkünfte versteuern müssen. Ist diese Entwicklung umkehrbar?
Ich denke schon. Nur weil es diese neoliberale Entwicklung gab, heisst das nicht, dass wir nicht wieder davon wegkommen können. Wir haben grosse Chancen, das hinzukriegen – ich bin guter Dinge.
Mit gutem Grund?
Ja, denn es gibt eine Studie von der London School of Economics: 18 Länder wurden über 50 Jahre begleitet, um zu beobachten, ob es guttut, überreichen Menschen Steuerprivilegien zu geben und ob es einen Trickle-Down-Effekt gibt, ob also der wachsende Reichtum durch Konsum und Investitionen in die unteren Schichten der Gesellschaft durchrieselt.
Und wie lautet der Befund?
Für beides haben die Forscher keine Belege gefunden. Wenn man die Steuern senkt, erhöht sich die Investitionsquote nicht. Wenn man die Welt überreichen Menschen überlässt, dann retten sie die nicht. Im Gegenteil: Allein der Erhalt ihres Status quo zerstört die Welt mit einer noch grösseren Geschwindigkeit. Deshalb darf ein privates Interesse nicht über einem öffentlichen stehen.
Marlene Engelhorn, «Geld», am 26. September, erscheint das Buch im Verlag Kremayr & Scheriau.