Jamie Raskin (58) erinnert sich genau an den 6. Januar. «Meine jüngste Tochter Tabitha war an diesem Tag mit mir», erzählt der Chefankläger im Impeachment-Prozess gegen Donald Trump am Dienstag im Senat. «Es war der Tag, nachdem wir ihren Bruder beerdigt haben – unseren Sohn Tommy – der traurigste Tag unseres Lebens.» Seine Tochter sowie sein Schwiegersohn Hank, «der für mich wie ein Sohn ist», hätten ihn nach Washington begleitet «um in dieser für unsere Familie verheerenden Woche für mich da zu sein».
Raskin ahnte nicht, wie viel schlimmer es noch kommen werde. Dass ein wütender Mob das Kapitol stürmen würde, wo der Abgeordnete aus Maryland und seine Kollegen gerade die Stimmen der Präsidentschaftswahl auszählen. Dass er um sein Leben fürchten muss – nur Tage, nachdem sich sein Sohn Tommy (25), ein Jurastudent in Harvard, das Leben genommen hat.
Immer wieder bricht Raskins Stimme, während er aus persönlicher Sicht von der Attacke auf das Kapitol erzählt. Er habe seine Familie eingeladen, bei der Stimmauszählung dabei zu sein. «Sie haben mich noch gefragt, ob es trotz der Trump-Rally sicher in Washington sei. Und ich habe gesagt: Natürlich!»
Raskin: «Das kann nicht Amerikas Zukunft sein!»
Als der Mob das Kapitol angriff, versteckte sich seine Familie unter einem Tisch. «Die Kinder schrieben Nachrichten, von denen sie dachten, es wären ihre letzten. Sie dachten, sie sterben!» Raskins Stimme bricht. Er nimmt einen Schluck Wasser, dann erzählt er weiter: Als die Attacke vorbei war, habe er seine 24-jährige Tochter Tabitha in den Arm genommen und ihr versprochen, ihr nächster Kapitol-Besuch sähe anders aus. «Und sie sagte: Dad, ich gehe bestimmt nie mehr ins Kapitol.»
Eindringlich wendet sich der Trump-Chefankläger an die Senatoren, die in den nächsten Tagen über die Verurteilung von Donald Trump wegen «Anstiftung zum Aufruhr» entscheiden müssen: «An diesem Tag sind Menschen gestorben!» Das könne nicht «unsere Zukunft» sein. «Das kann nicht die Zukunft von Amerika sein. Wir können keine Präsidenten gebrauchen, die den Mob gegen unsere Regierung und unsere Institutionen aufhetzen und mobilisieren, weil sie sich weigern, den Willen des Volkes zu akzeptieren.»
Raskin verfasste Anklage noch während Kapitol-Sturm
In den sozialen Netzwerken gibt es Applaus für Raskins emotionale Rede. «Ich habe keine Ahnung, wie Jamie Raskin es geschafft hat, sie zu halten, aber ich bin froh, dass er es getan hat», schreibt ein Twitter-Nutzer. «Egal was man über das Impeachment denkt, Raskins Bemerkungen über seine Familie und die Ereignisse des 6. Januars gegenüber dem Senat sollte man anschauen. Das wird Geschichte schreiben», ein anderer.
«Ich werde nicht meinen Sohn Ende 2020 und mein Land und die Republik 2021 verlieren», hatte Raskin bereits im Januar über seinen Kampf für Trumps Verurteilung gesagt. Der Abgeordnete und ehemalige Rechtsprofessor führt die Anklage gegen Donald Trump an.
Den ersten Entwurf für die Anklage soll er schon verfasst haben, als die Angreifer noch im Kapitol waren. «Jeder Amerikaner sollte wissen, was passiert ist – mit der Anklage und der Verurteilung wollen wir sicherstellen, dass ein solcher Angriff auf unsere Demokratie und Verfassung nie wieder geschieht», sagte Raskin jüngst in einem Interview. (kin)
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