Im Verschwörungswahn
Deutsche bringt eigene Tochter (†11) und Mutter (†68) um

Es ist ein furchtbarer Fall, der vor dem Berliner Landgericht verhandelt wurde: Eine Familie verfällt immer mehr den verschiedensten Verschwörungstheorien. Mit tödlichen Folgen für die Tochter und die Grossmuter.
Publiziert: 26.06.2024 um 20:30 Uhr
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Vor dem Landgericht Berlin wurde ein grausamer Fall verhandelt.
Foto: Google Streetview
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Fabienne MaagPraktikantin News

Zuerst tötete sie ihre Tochter (†11), dann ihre Mutter Christine L.* (†68): Vor dem Berliner Landgericht wurde Dorothea L.* (42) der Prozess gemacht. Sie soll im Glauben an verschiedene Verschwörungstheorien gehandelt haben. Nach den beiden Taten wollte sich die 42-Jährige das Leben nehmen. Doch der Suizid scheiterte. Ebenfalls angeklagt ist der Grossvater Werner L.* (71).

Den tödlichen Plan sollen Christine L. und Dorothea L. schon lange vorbereitet haben. Das Schlimmste: Obwohl die Familie viele Anzeichen zeigte, schauten viele weg.

«Sie konnte ohne Mutter kaum denken»

Eine psychiatrische Sachverständige diagnostizierte bei der Angeklagten eine Persönlichkeitsstörung, was ihre Steuerungsfähigkeit «erheblich einschränkte». Die Geschichte nahm bereits während der Kindheit der Angeklagten Dorothea L. ihren Lauf.

Dorothea L. kam als die Jüngste von drei Geschwistern in Ost-Berlin zur Welt. Aufgrund einer Deformation an ihren Füssen und einer Hirnhautentzündung musste sie lange von ihrer Mutter Christine L. gepflegt werden. Die Familie war sehr religiös und isolierte sich aufgrund ihrer Lebensweise zunehmend.

Nach dem Mauerfall machte Dorothea L. zwei Ausbildungen im Tourismus und arbeitete viel. Sie blieb jedoch stetig mit ihrer Mutter Christine L. vernetzt. Sie «konnte ohne Mutter kaum denken», geht aus der Anklageschrift hervor, die der «Süddeutschen Zeitung» vorliegt. Währenddessen zogen die beiden andere Schwestern aus.

Tochter wurde von Mutter und Grossmutter krankhaft kontrolliert

Grossmutter Christine L. kontrollierte währenddessen die gesamte Familie, auch, mit wem sich ihre Tochter Dorothea L. umgab. Beide verfielen immer mehr der Religion und esoterischen Vorstellungen und Verschwörungstheorien. Mit im Bunde: Die Tochter von Dorothea L., die elf Jahre alt war. «Meine Mutter, meine Tochter und ich, wir waren eine Familie in der Familie», so die Angeklagte vor Gericht. 

Die Elfjährige wurde krankhaft von ihrer Mutter und Grossmutter kontrolliert. Sie durfte nur eine Freundin haben und war ansonsten sozial sehr isoliert. Was mit dem Vater des jungen Mädchens geschehen ist, wollte Dorothea L. nicht beantworten, wie die «Süddeutsche Zeitung» berichtet.

Dorothea L. sah in der gesamten Welt eine Gefahr für ihre junge Tochter. Sie warnte sie vor den Leuten in ihrem Quartier und zwang das junge Mädchen, ihre roten Haare schwarz zu färben – aus Angst, dass die roten Haare nur noch mehr Aufmerksamkeit auf ihre junge Tochter lenken würde.

Der Suizid war schon lange geplant

Die Corona-Pandemie brachte das Fass letztlich zum Überlaufen. Von da an war Dorothea L. davon überzeugt, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) alle Familien mit der Corona-Impfung töten wollte. Sie und ihre Mutter wollten deswegen «in den Himmel» gehen, wie es in der Anklageschrift weiter heisst. Zusammen redeten die beiden auf die junge Tochter ein und überzeugten sie von ihrem furchtbaren Plan. 

Sie schlossen Versicherungen für ihr Nachleben ab und zwangen das junge Kind, einen Abschiedsbrief an ihre einzige Freundin zu schreiben. Die Tochter zeichnete Katzen und schrieb von vielen Geschenken, die sie im Himmel erwarten würden. Im Oktober 2023 schliesslich tötete Dorothea L. ihre eigene Tochter und eigene Mutter.

Viele Leute haben weggeschaut

Ein weiterer Angeklagter ist der Grossvater und Ehemann Werner L. Dieser fühlte sich aus der Familie ausgeschlossen und zog sich immer weiter zurück. Als er vom Suizid-Plan der beiden Frauen erfuhr, machte er sich über das junge Alter seiner Enkelin Gedanken, habe aber die Verantwortung «bei der Mutter gesehen» und wollte nicht noch mehr in den Hintergrund der Familie geraten.

Auch die Schwester von Dorothea L., welche die Familie vorfand und ihre Schwester an ihrem eigenen Suizid hinderte, hätte früher eingreifen können. Oder die Mutter der einzigen Freundin des nun toten Kindes. Sie hatte mitbekommen, wie streng das Mädchen durch ihre Mutter kontrolliert worden war. Ausserdem wurde ihre eigene Tochter eine Woche vor der Tat bei den L.s zum Abendessen eingeladen. Es war das letzte Mal, dass sich die beiden Kinder sahen.

Dorothea L. wurde wegen Totschlags und Tötung auf Verlangen zu acht Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Der Grossvater und Ehemann Werner L. muss ebenfalls aufgrund von Beihilfe zum Totschlag sechs Jahre in Haft.

*Namen bekannt 

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