Skizzen von brennenden Hochhäusern, zerstörten Wohnblöcken und auf dem Boden zerstreute Leichen: Ein Junge (8) – sein Name ist nicht bekannt – gibt mit seinen Aufzeichnungen einen erschütternden Einblick in seinen Alltag in der ukrainischen Stadt Mariupol, die seit dem Beginn der russischen Invasion zur Hölle geworden ist.
Die Hafenstadt wird seit mehr als zwei Monaten unerbittlich bombardiert, wobei etwa 90 Prozent der Infrastruktur der südlichen Hafenstadt zerstört wurden.
Die Bevölkerung ist einer mittelalterlichen Belagerung ausgesetzt – Lebensmittel, Wasser, Treibstoff und Strom gehen zur Neige, während die Menschen versuchen, am Leben zu bleiben.
Kind verliert Grosseltern im Krieg
Das Tagebuch wurde von einem Fotografen aus Mariupol entdeckt, der die Einträge fotografiert und auf sozialen Medien geteilt hat, wie die britische Zeitung «Metro» berichtet.
Auf den Skizzen des Jungen sind Soldaten mit Gewehren zu sehen, die neben einem Panzer kämpfen, während über ihnen ein Hubschrauber fliegt. Die Bilder zeugen von den Grausamkeiten, die der Achtjährige mit eigenen Augen sehen musste.
In einem seiner letzten Einträge im Heft schreibt der Junge, der Mariupol als «die geliebte Stadt» bezeichnet: «Meine beiden Hunde und meine Grossmutter Galja sind gestorben». Auch von seinem Grossvater musste er am 25. März Abschied nehmen – die Belagerung Mariupols scheint ihren Tribut zu fordern.
«Ich habe eine Wunde am Rücken»
Eines Tages hält er fest: «Ich habe gut geschlafen. Aufgewacht. Lächelte. Aufgestanden.» Am nächsten Tag schreibt er aber von Verletzungen. «Ich habe eine Wunde am Rücken.»
Der Junge berichtet auch von seiner Schwester (15) und seiner Mutter (38), die ebenfalls verletzt zu sein scheinen. «Die Haut meiner Schwester ist herausgerissen. Mama hat eine Kopfverletzung. Fleisch an meinem Arm und ein Loch in meinem Bein.»
Anschliessend berichtet er, wie die Wunden behandelt wurden. «Mama ist die Erste, ich bin die Zweite, die Dritte ist meine Schwester.» Er fügt hinzu: «Übrigens, ich habe eine Freundin. Viktoria ist lustig. Sie ist unsere Nachbarin. Sie hat gute Eltern.»
Träumt von einer grossen Geburtstagsfeier
Und trotz all den schrecklichen Eindrücken scheint der Junge seinen Lebensmut noch nicht ganz verloren zu haben.
Laut seinem Tagebuch träumte er davon, seinen Geburtstag «richtig» feiern zu können. Zu seinem Wunsch zeichnete er ein Bild von einer grossen Torte auf einem Tisch mit Gästen, die sich um ihn scharen, um ihm zu gratulieren.
Mehr zur Lage in Mariupol
Der grösste Teil von Mariupol wurde inzwischen von russischen Truppen eingenommen, aber schätzungsweise 2000 ukrainische Kämpfer haben sich noch immer im Stahlwerk Azovstal verschanzt. Man ging davon aus, dass auch Zivilisten in der weitläufigen Anlage eingeschlossen waren, diese konnten allerdings Mitte der Woche gerettet werden – nach acht Wochen im Untergrund. (chs)