Die jüngste Eskalation im Libanon findet vor allem zwischen der Hisbollah-Miliz und israelischen Streitkräften statt. Welche Rolle spielt aber die libanesische Armee? Diese sei im aktuellen Konflikt kompliziert, erklärt Khalil Helou gegenüber «Euronews». Er ist beurlaubter General der libanesischen Armee und Professor für Geopolitik an der St.-Josephs-Universität in Beirut.
«Sie ist keine klassische Armee, wie westliche Armeen.» Die libanesische Armee sei den Anweisungen der libanesischen Regierung unterworfen, erklärt der Experte. Ausserdem gebe es seit langem extreme Spannungen, und die Armee sei sich selbst überlassen. Eine Herausforderung für die libanesische Führung.
Die Rolle der Hisbollah im Libanon
Eigentlich dürfte die Hisbollah gar nicht im Libanon operieren – das besagt die Uno-Resolution 1701, die 2006 während des Libanonkriegs verabschiedet wurde. Die Hisbollah hätte ihre bewaffneten Gruppen aus dem Südlibanon abziehen müssen. Auch die Raketensysteme, die Israel ins Visier nehmen können, hätten sie entfernen müssen. Die Hisbollah hat sich nicht an die Verpflichtungen gehalten.
Die Hisbollah-Miliz hat eigene bewaffnete Kräfte, die als hoch organisierte Miliz funktioniert. Sie fungiert als Stellvertreter des Iran und agiert komplett ausserhalb der libanesischen Armee. Das heisst: Wenn die Hisbollah auf eigene Faust Israel angreift, können die libanesischen Kräfte und die Armee nicht intervenieren.
Denn laut dem Experten würde eine Konfrontation mit der Hisbollah automatisch zu einem Bürgerkrieg führen. «Die Armeeführung weiss, dass die innere Stabilität absoluten Vorrang vor einem Krieg hat, der sich zwischen der Armee selbst und der Hisbollah hinziehen könnte», so Helou.
Tatsächlich gab es aber in der Vergangenheit auch wichtige Zusammenarbeiten zwischen der Hisbollah-Miliz und den libanesischen Streitkräften.
Hisbollah verfügt über starke ballistische Kapazität
Zwar verfügt die libanesische Armee über eine typische militärische Struktur, sie ist jedoch nicht genügend bewaffnet. Die Hisbollah hingegen hat eine paramilitärische Struktur und hat eine starke ballistische Kapazität. Sie setzt auch Guerilla-Einheiten als Infanterie ein. Was die Hisbollah nicht hat: eine Luftwaffe oder Panzerregimente.
Der libanesische Botschafter der EU, Fadi Ajali, erklärt gegenüber «EuroNews», dass die libanesische Armee überlastet sei: «Sie muss sich mit den inneren Sicherheitsangelegenheiten des Libanons auseinandersetzen, wie zum Beispiel dem Versuch, den Zustrom von Migranten in die EU zu kontrollieren.»
Die Europäische Union habe immer wieder versucht, die libanesische Armee zu stärken. «Die europäische Friedensfazilität stellt Mittel für die libanesische Armee bereit, damit sie ihre zentrale und kämpferische Rolle bei der Förderung der Resolution 1701 spielen kann, die dem Land und der Region Frieden und Sicherheit bringen würde», erklärt er. Dazu versuche die Armee, die Sicherheit für syrische und palästinensische Flüchtlinge zu gewährleisten.
Keine intakte Luftabwehr
Währenddessen treffen israelische Raketen libanesisches Territorium. Die libanesische Armee versuche nicht einmal, diese abzufangen. Laut Khalil Helou verfügt die libanesische Armee über keine eigene Luftabwehr – und die Hisbollah ebenfalls nicht. «Die Syrer haben S-300-Systeme.», so der Experte. Dies habe aber nicht funktioniert. «Es gibt grosse regionale Mächte, die nicht in der Lage sind, Raketen abzuschiessen.» Somit könne man das auch nicht von der libanesischen Armee verlangen.
Schon im Jahr 2006, während der israelischen Invasion im Libanon, vermied die libanesische Armee jegliche Konfrontation mit dem israelischen Militär. Dazumal wurden mehrere ihrer Stützpunkte von Israel bombardiert. Sie setzte sich auch nicht aktiv für die Entwaffnung der Hisbollah ein.