Mutmasslicher Büsi-Quäler Elfat T. wird im Netz gejagt
Gnadenloser Internet-Mob – 6 schockierende Fälle

Im Internet wütet nach dem brutalen Büsi-Tötungsvideo die Hetzjagd auf den mutmasslichen Täter Elfat T. Kein Einzelfall. Immer wieder hat der Hass im Netz auch offline bittere Konsequenzen.
Publiziert: 31.07.2023 um 11:29 Uhr
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Aktualisiert: 31.07.2023 um 15:12 Uhr
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Im Internet hat die Hetzjagd gegen Elfat T. extreme Dimensionen angenommen, wie diese Screenshots zeigen.
Foto: TikTok
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Anastasia MamonovaBlattmacherin Digital

Ein grausames Büsi-Tötungsvideo, das im Internet kursiert, sorgt für Wut. Und Rachegedanken. Die Zielperson: Der mutmassliche Mittäter Elfat T.* (16).

Obwohl die Hintergründe der Tat ungeklärt sind und für ihn die Unschuldsvermutung gilt, läuft im Internet bereits eine Hetzkampagne. Wütende Bürger posten seinen Namen und Bilder von ihm. Auch eine Adresse wird öffentlich genannt, dazu wurden Bilder von einem Wohnblock publiziert.

Ob er nun der Täter ist oder nicht – Elfat T. ist nun auch Opfer einer Internet-Hetze. Und damit nicht der Erste. Eine Übersicht.

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Der Drachenlord musste sein Haus verlassen

«Drachenlord» Rainer Winkler wurde jahrelang online und im echten Leben von seinen Hassern verfolgt.
Foto: Screenshot

Der Deutsche Rainer Winkler (33), der auch als Drachenlord bekannt ist, hat sein Geld mit Youtube-Videos verdient. Meistens gings da um Videospiele oder Musik. Doch zweifelhafte Berühmtheit erlangte er unter anderem, weil er den Holocaust als «nice Sache» bezeichnete – weniger aus rechtsextremer Gesinnung heraus, sondern aus einem Drang zur ungeschickten Provokation. So machte er sich im Netz viele Feinde – sogenannte Hater, oder «Haider», wie er sie mit seinem fränkischen Akzent nennt.

Bei Netz-Drohungen blieb es aber nicht. Das Dorf Altschauerberg, wo der Drachenlord wohnte, wurde zum Schauplatz von zahlreichen Polizeieinsätzen wegen Ruhestörungen oder Hausfriedensbruch. Winklers «Haider» pilgerten jahrelang zu seinem Haus, wo es zu Beschimpfungen und Randale kam.

Im Jahr 2018 tauchten in Altschauerberg Hunderte auf, um den Youtuber Drachenlord zu terrorisieren.
Foto: Picture-Alliance/AFP

Auch im Internet wurde der übergewichtige Blogger weiter gemobbt – unter anderem wegen seines Aussehens. Er selbst teilte ebenfalls ordentlich aus und wurde wegen Körperverletzung zu zwei Jahren Haft verurteilt.

Irgendwann verkaufte er sein Haus und zog aus der Gemeinde weg. Auf Youtube postete er aber weiterhin Videos, wie er mit dem Auto herumreiste. Das wiederum verleitete seine «Haider» dazu, seinen Aufenthaltsort herauszufinden. Mehrere Experten hatten ihm in der Vergangenheit geraten, sich von Social Media zurückzuziehen. Doch er postet munter weiter.

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Céline bis zum Suizid gemobbt

Céline (†13) nahm sich nach massivem Mobbing das Leben.
Foto: Zvg

Wegen Cybermobbing nahm sich Céline (†13) aus Spreitenbach AG im Jahr 2017 das Leben. Die Bezirksschülerin war von einem damals 14-Jährigen unter Druck gesetzt worden. Sie sollte ihm intime Bilder schicken. Eine Ex-Kollegin verbreitete ein solches Bild auf Social Media weiter und machte sich darüber lustig. Hunderte Jugendliche hatten es gesehen. Céline wurde massiv bedroht und beleidigt – und nahm sich wenig später das Leben.

Hier finden Sie Hilfe und weitere Informationen

Hilfe für Menschen in suizidalen Krisen und für ihr Umfeld: Beratungstelefon der Dargebotenen Hand: Telefon 143 /www.143.ch

Hilfe für Menschen in suizidalen Krisen und für ihr Umfeld: Beratungstelefon der Dargebotenen Hand: Telefon 143 /www.143.ch

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«GNTM»-Kandidatin verliess freiwillig die Show

Lijana Kaggwa hatte ein Buch über ihre Cyber-Mobbing-Erfahrungen geschrieben.

Lijana Kaggwa (27) machte in der siebten Staffel von Germany's Next Topmodel im Jahr 2020 von sich zu reden. Die Kandidatin schaffte es bis ins Finale. Weil ihr online eine grosse Hasswelle entgegenschlug, verkündete sie in der Livesendung ihren freiwilligen Ausstieg. Zuschauer hatten auf Instagram sogar Accounts mit den Namen wie «alle.hassen.lijana» oder «we.hate.lijana.gntm2020» eröffnet.

Grund für die Beleidigungen und Morddrohungen: Lijana Kaggwa galt als «Staffel-Zicke». Laut eigener Aussage wurde sie vom Redaktionsteam mittels Kameraschnitt und gezielter Manipulation in diese Rolle gedrängt.

Der Internet-Hass schwappte auch ins analoge Leben. In ihrem Buch «Du verdienst den Tod» schildert sie, wie sie bei einem Spaziergang von Jugendlichen angespuckt wurde. Mittlerweile hat sie einen Verein gegründet, um anderen Cybermobbing-Opfern zu helfen.

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Heide-Gang – von Täterinnen zu Opfern

Eine Mädchengang hat eine 13-Jährige in Heide (D) gequält und die Tat gefilmt. Später wurden die Täterinnen selber Opfer von Social-Hetze.

Eine brutale Mädchen-Gang von 13- bis 16-Jährigen aus Heide (D) hatte Ende Februar eine 13-Jährige gequält und die Tat sogar gefilmt. Sie drückten Zigaretten auf der Jugendlichen aus, schlugen sie und zündeten ihre Haare an. Die Täterinnen mussten sich später für ihre Taten vor Gericht verantworten und wurden zu Sozialarbeit verurteilt. Bevor es so weit war, wurden nach der Publikation des Videos Aufrufe zu Selbstjustiz laut.

User hatten dann die Profil-Namen und auch die Klarnamen der mutmasslichen Täterinnen veröffentlicht. «Bitte findet diese Unmenschen und erteilt ihnen eine Lektion!», lautete ein Aufruf.

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Mobbing-Drama um Kasia Lenhardt

Kasia Lenhardt wurde nach der Trennung von Jérôme Boateng im Netz angefeindet.

Der Tod von GNTM-Model und Jérôme Boatengs Ex-Freundin Kasia Lenhardt (†25) schockierte im Februar 2021 die Öffentlichkeit. Die junge Frau hatte sich nach Cyber-Mobbing das Leben genommen. Im Anschluss an die Trennung des deutschen Promi-Paares war eine Schlammschlacht ausgebrochen. Lenhardt warf Boateng Untreue vor. Der wiederum behauptete, sie habe ihn zur Beziehung gezwungen. In den sozialen Medien wurde Lenhardt daraufhin von Boateng-Fans heftig angefeindet, bedroht und beschimpft. Nach ihrem Tod schrieb Lenhardts Mutter auf Instagram: «Mobbing... ihr habt mir mein Kind weggenommen.»

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Tiktok-Hetzjagd im Fall Luise F.

Luise F. (im Bild) wurde von zwei Freundinnen getötet. Ein Video landete im Netz. Darauf hagelte es zahlreiche Hass-Kommentare gegen die Mädchen.
Foto: Polizei

Mit Dutzenden Messerstichen wurde Luise F.* (†12) von zwei Freundinnen im März dieses Jahres getötet. Eine der Täterinnen soll später ein Video auf Tiktok veröffentlicht haben. Dieses verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Tausende User reagieren auf den Beitrag – überwiegend aggressiv und hasserfüllt. Die Minderjährigen wurden als «Killerinnen» und «Psychos» bezeichnet. Wegen der ausufernden Hass-Posts sahen sich die Behörden sogar gezwungen, die Social-Media-Accounts der Mädchen zu sperren.

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